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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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verblüfft angesichts der Gesamtlage, machte sich aber dann an die Reparatur der gebrochenen Kraftstoffleitung. Nach einer Viertelstunde lief der Motor wieder, alles wieder so gut wie neu sagte der Mann, klappte den Kragen seines Overalls hinauf, und machte sich davon.
    Der Busfahrer wü rde die Polizisten begleiten müssen, in seine Fahrgäste kam langsam Bewegung. Uns, erstaunlicherweise, brauchte man nicht mehr, nachdem unsere Aussage aufgenommen worden war. Niemand stellte unsere Fahrtauglichkeit in Frage; vielleicht weil die Begegnung mit dem Leid offensichtlich Bestandteil unseres beruflichen Alltags war. Vielleicht erweckte unsere Uniform auch den Eindruck eines zuverlässigen Schutzpanzers. Aber auf etwas Derartiges kann der Rettungsdienst nicht vorbereiten.

    Auf dem Rückweg fuhr ich langsam, wechselte kaum die Spur. Wir hatten beide Fenster einen Spalt geöffnet, weil es noch immer nach Diesel roch. Eine Erinnerung an die Zeit, als Schlager noch lebte. Die Sonne stand schon tief und es hatte bereits abgekühlt, aber die Luft hatte nichts von ihrer Weichheit verloren.
    Wann mir der Gedanke kam, dass Wegmann etwas mit Schlagers Tod zu tun haben kö nnte, weiß ich nicht. Vielleicht bereits, als ich zurück zum Krankenwagen lief; da war so ein unscharfes Gefühl, ich hätte die beiden nicht alleine lassen dürfen, das mich antrieb.
    Ich konnte kaum unterscheiden, ob meine Kopfschmerzen an Stä rke zunahmen, oder ob der Druck im Kopf von dieser Ahnung herrührte, die mich nicht losließ. Ich erinnerte mich an Wegmanns Blick, der kaum mehr als sonst flackerte, als er mit den Beamten sprach. Doch die Art, mit der er die offensichtlich einfachste Erklärung präsentierte, Schlager habe vermutlich das Gleichgewicht verloren, hatte etwas Drängendes, Verzweifeltes. Das Gleichgewicht verloren? Der Mann, der im Sommer auf dem Seil über den Hof balanciert war? Ich sah Wegmann von der Seite an, wie er voraus auf das Betonband der Autobahn starrte.
    K urz nach Sonnenuntergang rollten wir wieder an dem grün gestrichenen Gittertor vorbei auf den Hof der Dienststelle. Im Wachzimmer brannte Licht, es sah nach Gemütlichkeit aus. Mit Erleichterung erkannte ich, dass Natalias Kleinwagen fehlte. Oben an der Tür stand Lambertus, als habe er uns in diesem Moment erwartet. Bevor ich in die Garage fuhr, versuchte ich einen schnellen Blick in sein Gesicht zu werfen, aber im warmen Schein der voranschreitenden Dämmerung lagen seine Augen nur dunkel und ausdruckslos in ihren Höhlen.

    „Erzählt mir genau, was passiert ist.“
    Wir hatten auf Hä rting gewartet, der soeben eintrat. Auch Metz war zugegen, ansonsten wusste augenscheinlich noch niemand von dem Unfall. Heißer Tee, von Lambertus fürsorglich selbst gekocht, stand vor uns auf dem Tisch, das beruhigt . Er bot an, mich von meinem morgigen Dienst abzuziehen, aber ich lehnte ab, wollte auf keinen Fall zu Hause sitzen.
    Wegmanns Blick flackerte zu mir herü ber und wieder fort, zum Fenster hinaus. Seine Stimme klang ruhig und beinahe etwas monoton. „Gibt nicht viel zu sagen. Scheiß Auto, Panne, Kraftstoffleitung kaputt. Wir schauen uns um, Haller stellt das Warndreieck auf. Schlager und ich stehen an der Motorhaube. Besehen uns den Schaden. Viel Verkehr auf der rechten Spur, Schwerverkehr. Auf einmal schaue ich auf. Schlager liegt zwanzig Meter weiter, scheint, als habe ein Bus ihn an der Seite erwischt. Hat wohl das Gleichgewicht verloren.“
    Ein Teil von mir rief ja, so muss es gewesen sein, das klingt alles ganz plausibel, welchen Grund gibt es, etwas anderes anzunehmen ? Lambertus blickte mich fragend an, und ich zuckte mit den Achseln. „Ich war ungefähr hundert Meter entfernt. Und stand mit dem Rücken zum Auto.“ Ich sah zu Wegmann hin, der bereits wieder zum Fenster hinaus starrte.
    Gerade in diesem Augenblick, als ich willens war, das Undenkbare nicht mehr zu denken, zu akzeptieren, was ich nie wü rde wissen können, so wie viele andere Dinge auch – als ich so weit war, den Angeklagten dem Zweifelsfall nicht zu opfern, und den vagen Ahnungen, so wie üblich, eine Absage zu erteilen, da fragte Metz: „Hat er noch etwas gesagt?“ Und plötzlich war es mehr als eine vage Ahnung, es war eine Gewissheit, dass, auch wenn ich nicht gesehen hatte, was geschehen war, dieser Kreis sich enger zog um mich und um andere, dieser Kreis, der sich als letzte Instanz sah auf der Schwelle zwischen Tod und Leben, und in dieser schattenreichen Region zählte die eine

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