Circulus Finalis - Der letzte Kreis
einlegte.
Plö tzlich wurde mir bewusst, dass es hinter mir im Fahrzeug vollständig still geworden war. Ich sah Schlager, wie er Dommels Jacke in der Hand hielt und den Kollegen anstarrte. Unheil ahnend, stieg ich aus und öffnete die Seitentür des Patientenraums.
Schlager war bleich vor Wut, fast unm erklich zitterte er. Seine Hand spannte sich um einen Gegenstand in der ungeöffneten Jackentasche.
„ Sag mir, dass das ein Spielzeug ist.“
„ Beruhig dich, ist ja wirklich ein Spielzeug. Eine Gaspistole. Halb so wild.“ Er nahm Schlager die Jacke aus der Hand und öffnete die Tasche. Eine schmale, metallene Pistole kam zu Vorschein und legte sich wie selbstverständlich in Dommels Hand.
„ Ein schöner Kriegsdienstverweigerer“, fauchte Schlager außer sich vor Wut. „Und was hast du damit vor?“
„ Na ja, bei so einer Fahrt wie heute? Ich setz’ mich doch nicht stundenlang neben so einen Verrückten, ohne mich verteidigen zu können.“
Ich sah Dommel mit der Waffe in der Hand und Schlager, der aussah, als wolle er sich auf ihn stü rzen, und mir war danach, Lambertus zu holen, aber ich wagte es nicht, die beiden allein zu lassen. Als ob schon der Gedanke genügt hätte, stand der Dienststellenleiter mit einem Mal neben mir.
„ Jungs, wie sieht’s aus? Seid ihr so weit?“
Dann sah er die Waffe und hob die Augenbrauen.
„Kann mir mal einer erklären, was das bedeutet?“
„ Dieser Volldepp hier, unser feiner Zivildienstleistender, meint, er brauche für diese Fahrt eine Gaspistole. Wahrscheinlich hat er sie ohnehin immer dabei.“
Dommels Gesichtshaut rö tete sich stellenweise. Er schob die Waffe wieder in die Jacke und grollte, „ist ja wohl meine Sache, was ich in meinen Taschen habe, oder?“
Lambertus lachte mit demonstrativer Heiterkeit. „ Nicht ganz, mein Junge, nicht ganz. Wenn du dich so fürchtest, dann sollte vielleicht ein anderer die Fahrt machen. Ich geh’ mal telefonieren. Und du kommst mit und hilfst mir.“
„ Nie wieder fahre ich mit dem! Nie wieder“, schrie Schlager ihnen nach. „Ich zeig dich an!“
Lambertus drehte sich um, und ernster und ruhiger als zuvor entgegnete er: „ Wir regeln das unter uns, okay?“
Schlager machte einen Schritt auf ihn zu. Ich hatte das Gefü hl, er wolle ihn packen und schütteln, aber er beherrschte sich. „Ihr seid wahnsinnig, alle komplett wahnsinnig. Eine feine Ethik habt ihr euch da ausgedacht, die es Euch erlaubt, an der Grenze von Leben und Tod herumzuspielen.“ Er warf mir einen verächtlichen Blick zu, sah dann zu Dommel hin. „Und so einen lasst ihr im Rettungsdienst fahren. Neurotisch und bewaffnet. Mir reicht’s. Ich hab’ schon viel zu lange weggeschaut. Diesmal nicht.“
Er verschwand wieder im Wagen. Dommel sah mich, jetzt wieder mehr bleich als rot, an. „ Meint er das ernst? Glaubst du, der geht zur Polizei?“
Ich zuckte mit den Achseln. „ Kann schon sein“, antwortete ich, obwohl ich es für eher unwahrscheinlich hielt. Aber ein bisschen Ungewissheit, dachte ich mir, würde nicht zu Dommels Schaden sein.
Eine knappe halbe Stunde später traf Wegmann ein, unser neuer dritter Mann für die Fernfahrt. Ich bewunderte Lambertus, der innerhalb kürzester Frist trotz des Karnevals einen Ersatz für Dommel gefunden hatte, und bot an, auf dem ersten Teilstück hinten im Patientenraum Platz zu nehmen, denn vorne gab es nur zwei Sitze. Bevor wir einstiegen, blickte ich noch hinauf zum Wachraum und sah Natalia am Fenster. Sie sah wirklich verärgert aus und starrte ohne Regung auf mich herab. Ich hatte Marie nicht gehen sehen, und es war nicht schwer, sich vorzustellen, dass sie einen Weg gesucht und gefunden hatte, um Zwietracht zu säen. Es erschien mir plötzlich dringlich, mit Natalia zu reden, um ihr etwas zu sagen, von dem ich hoffte, dass ich es wissen würde, wenn ich ihr gegenüberstünde. Die Ahnung eines drückenden Kopfschmerzes stieg in mir auf; dazu ein Gefühl der Hilflosigkeit, wie es ein Jongleur empfinden mag, der zu viele Bälle zur Hand genommen hat: Der krampfhaft bemüht ist, sie alle in der Luft zu halten. Von innen zog ich die Tür des Krankenwagens zu. Es war eine billige Flucht, ganz klar, aber effektiv. Alles andere war mir im Moment egal.
Ich musste eingeschlafen sein.
Hinter dem Milchglas der Scheiben schoben sich nicht mehr lä nger blass besonnte Industrieanlagen vorbei, das Licht war heller geworden und trug verwischte Töne von Grün, die an Wiesen und weite Felder denken
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