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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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Überblick, den ihm sonst der Hubschrauber ermöglichte. Oder die Verlockung war zu groß, in all dem Leid, dass die Hubschrauberperspektive ihm zutrug, eine neue Bedeutung zu erkennen.
    Tief steckte ich im selbst geschaffenen Sump f und musste mich befreien, schnell. Für Zynismus und soziologische Beobachtungen war keine Zeit mehr.

    Als ich wieder im Bett lag, gelang es mir weiterhin nicht, zur Ruhe zu kommen. Nach den Geschehnissen war das sicherlich nicht weiter überraschend, aber ich bemerkte noch etwas anderes. Wenn ich, was selten geschah, nachts nicht einschlafen konnte, löste das bei mir sonst nur milde Verwunderung aus, nicht mehr. Jetzt aber quälte mich ein Gefühl der Hilflosigkeit, weil ich ahnte, dass ich in den nächsten Tagen all meine Kraft benötigen würde, und langsam wuchs eine unterdrückte, aber tief sitzende Wut. Etwas hatte sich geändert am Verhältnis zwischen den Dingen und mir, so als hätte ich in eine andere Betriebsart gewechselt. Die sonst allgegenwärtige Distanz zu den Ereignissen war geschrumpft.
    Vielleicht duldet die Welt auf Dauer keine Auß enstehenden.

32
    Kaum vierzehn Stunden, nachdem ich Lambertus Büro ohne Erklärung verlassen hatte, schritt ich wieder durch das Tor auf die Wache zu, und für einen Augenblick war da eine unscharf umrissene Angst, ich begäbe mich auf ein Terrain, dass ich in meinem bisherigen Leben im Grunde nicht kennen gelernt hatte, nämlich in Gefahr.
    Dann ü berwog wieder der Eindruck von Normalität: Das Geräusch eines startenden Dieselmotors vor dem Hintergrundrauschen der nahen Autobahn, das Rumpeln des Hallentors. Der Krankenwagen, an dessen Motorhaube Schlager gestanden hatte, als der Bus ihn erfasste, verließ den Hof auf dem Weg zu einer Dialysefahrt.
    Es wä re nicht unverständlich gewesen, wenn Lambertus nach meinem Abgang am Vorabend doch noch Ersatz für mich organisiert hätte, aber dem war offensichtlich nicht so. Mir schien sein Vertrauen in meine Dienstbeflissenheit gewagt, aber immerhin hatte er recht behalten. So war ich allein mit Tann, der an der präparierten Espressomaschine bereits auf mich wartete, und sich mit für seine Verhältnisse mitfühlenden Worten nach meinem Befinden erkundigte: „Scheißgeschichte, das. Scheißpanne.“
    Damit war das Thema offensic htlich abgeschlossen für ihn, obwohl er, aus Rücksicht oder vielleicht anderer Probleme wegen, schweigsamer und weniger leutselig war als sonst. In die Stille klangen gedämpft die Stimmen und das Gelächter der gerade von ihrer Morgenfahrt zurückgekehrten Krankenwagenbesatzung herauf, und ich fragte mich, ob die Kollegen von mehr wussten als einer ausgetauschten Kraftstoffleitung.
    Vielleicht schrieb Lambertus meine indirekte Anschuldigung auch dem Schock der Ereignisse zu; Tann jedenfalls, sofern er davon wu sste, verhielt sich neutral. Darüber war ich für den Augenblick erleichtert, denn es gab mir Zeit, über mein weiteres Vorgehen nachzudenken. Metz hatte zwei Blätter mit Kopien der rätselhaften Strichzeichnungen auf dem Wachpult liegen lassen, für den Fall, dass uns etwas dazu einfiele. Tann zufolge gab es noch keinerlei Anhaltspunkte. Vielleicht betrachteten sie mich tatsächlich nach wie vor als Teil des Circulus Finalis , vielleicht war es auch nur ein Test.
    Nach einem ruhigen Morgen wurden wir gegen Mittag in einen der Randbezirke der Stadt gerufen. Eine Frau war im Haus gestürzt und hatte sich einen Beckenbruch zugezogen, wie der Notarzt vermutete. Auf einer mit stecknadelkopfgroßen Styroporkugeln gefüllten Matratze, die um ihren Körper herum modelliert und aus der dann alle Luft abgesaugt wurde, brachten wir sie zum Auto: Trotz der durch das Vakuum im Matratzeninneren gewahrten Stabilisierung wimmerte unsere Patientin auf dem wenige Schritte langen Weg vor Schmerzen. Der Notarzt erkundigte sich, ob er uns allein lassen könnte, da ein zweiter Einsatz anstand; bis ins Krankenhaus war es nicht weit.
    Ich bat Tann, dessen Leidenschaft fü r rasante Fahrten sprichwörtlich war, Blaulicht und Martinshorn nur zu verwenden, falls ein Stau uns aufzuhalten drohte, und ansonsten so ruhig und schonend wie möglich zu fahren. Ob es eine bewusste Provokation war oder nur sein schwer zu zähmendes Verlangen nach Action , weiß ich nicht; jedenfalls sah ich in der mit Spiegelfolie beklebten Scheibe des Sex Shops am Kreisverkehr den Widerschein rotierender Blaulichter. Das wäre mir noch gleich gewesen, aber für Tann bedeutete Blaulicht eine

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