Circus
»Merkwürdig«, sagte er und sah sie mit einem seltsamen Ausdruck an, »ich dachte, Ihre Augen seien schwarz. Aber jetzt sind sie braun. Zwar sehr dunkelbraun, aber immerhin braun. Wie machen Sie das? Haben Sie einen Schalter dafür oder so was?«
Sie schaute ihn düster an: »Keinen Schalter.«
»Dann muß es an meinen Augen liegen. Warum ist Dr. Harper eigentlich nicht selbst gekommen, um mir die Instruktionen zu geben?«
»Es hätte einen sehr seltsamen Eindruck erweckt, wenn man Sie beide gemeinsam hätte weggehen sehen. Schließlich sprechen Sie normalerweise kein Wort miteinander.«
»Aha.«
»Bei uns beiden ist das etwas anderes. Oder haben Sie das schon wieder vergessen – wir sind doch unsterblich ineinander verliebt.«
»Er liebt seine tote Frau noch immer.« Marias Stimme war völlig ausdruckslos. Sie stand, die Ellbogen auf die Reling des Passagierdecks der ›M.C. Carpentaria‹ gestützt, im kalten Nachtwind und beobachtete augenscheinlich fasziniert die riesigen Kräne, die die Waggons des Circuszuges an Bord hievten. Aber in Wirklichkeit hatte sie keine Ahnung, was sich vor ihren Augen abspielte.
Sie zuckte zusammen, als sich eine Hand auf ihren Arm legte und eine Stimme fragte: »Wer liebt wessen Frau?«
Sie drehte sich um und schaute geradewegs in das Gesicht von Henry Wrinfield. Er strahlte sie an.
»Sie hätten anstandshalber wenigstens husten können oder so was«, sagte sie vorwurfsvoll. »Sie haben mich zu Tode erschreckt.«
»Das tut mir leid. Aber selbst, wenn ich mit Nagelstiefeln dahergetrampelt wäre, hätten Sie mich bei dem höllischen Lärm, den die Kräne vollführen, nicht gehört. Aber jetzt möchte ich wirklich wissen, wer wen liebt.«
»Wovon sprechen Sie eigentlich unentwegt?«
»Von der Liebe«, erklärte Henry geduldig. »Sie deklamierten irgend etwas zu diesem Thema, als ich kam.«
»Tat ich das?« fragte sie mit unsicherer Stimme. »Überraschen würde es mich nicht. Meine Schwester behauptet, daß ich die ganze Nacht im Schlaf vor mich hinrede. Vielleicht habe ich gerade ein Nickerchen gemacht, ohne es zu merken. Haben Sie irgendwelche Freudschen Ausrutscher mitbekommen oder so was?«
»Nein, nein. Was machen Sie eigentlich hier draußen? Es ist ausgesprochen kalt, und außerdem fängt es auch noch an zu regnen.« Er hatte das Interesse an Marias Bemerkung, die er zufällig gehört hatte, völlig verloren.
Sie schauderte zusammen. »Ich muß wirklich vor mich hingeträumt haben, sonst hätte ich sicherlich bemerkt, wie kalt es ist.«
»Kommen Sie mit hinein. Es gibt eine herrliche, altmodische Bar auf diesem Schiff. Ein Brandy wird jetzt für Sie genau die richtige Therapie sein.«
»Im Bett könnte ich mich wahrscheinlich noch nachhaltiger aufwärmen. Ich sollte sowieso schon längst drin liegen.«
»Sie lehnen es ab, mit dem letzten Wrinfield einen Schlummertrunk zu nehmen?«
Sie lachte und nahm seinen Arm: »Wie könnte ich?«
Die Halle – man konnte den Raum kaum als Bar bezeichnen – war mit dunkelgrünen Ledersesseln und Kupfertischen möbliert, der Steward war ausgesprochen aufmerksam und der Brandy ausgezeichnet. Maria trank einen, Henry drei, und nach dem letzten Schluck lag in Henrys Augen, der ganz offensichtlich nicht viel vertrug, ein zurückhaltend sehnsüchtiger Ausdruck. Er nahm ihre Hand in seine und sah sie schmachtend an. Maria schaute auf seine Hand hinunter.
»Das ist unfair«, sagte sie. »Die Etikette diktiert, daß eine Dame, wenn sie verlobt ist, ihren Verlobungsring und wenn sie verheiratet ist, ihren Ehering trägt. Aber für den Mann gibt es diese Pflicht nicht. Das finde ich nicht richtig.«
»Ich auch nicht.« Wenn sie gesagt hätte, er solle eine Kuhglocke um den Hals tragen, hätte er auch zugestimmt.
»Wo ist dann Ihrer?«
»Mein was?«
»Ihr Verlobungsring. Cecily trägt ihren. Ihre Verlobte. Erinnern Sie sich noch an sie? Die Grünäugige in Bryn Mawr. Sie haben Sie doch nicht etwa vergessen?«
Urplötzlich sah Henry wieder ganz nüchtern aus. »Sie haben Nachforschungen über mich angestellt?«
»Nein, ganz und gar nicht. Sie vergessen, daß ich jeden Tag mehrere Stunden mit Ihrem Onkel zusammen bin. Da er keine Kinder hat, sind seine Nichten und Neffen an diese Stelle getreten.« Sie nahm ihre Handtasche und stand auf. »Vielen Dank für den Schlummertrunk. Gute Nacht, und träumen Sie was Hübsches. Aber träumen Sie bitte von der richtigen Frau.«
Henry schaute ihr mit traurigen Augen nach.
Maria war
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