Circus
nicht gerade übermäßig viel Vertrauen zu Ihren Untergebenen, Sir«, stellte Harper düster fest.
»Nach den letzten Ereignissen habe ich nicht einmal mehr sonderlich viel Vertrauen zu mir selbst.«
Harper klopfte leicht auf den Boden seiner Arzttasche. »Sind Sie sicher, daß Sie mich über dieses briefmarkengroße Funkgerät erreichen können?«
»Wir benutzen NASA-Geräte, und damit könnten wir Sie auch ohne Schwierigkeiten auf dem Mond erreichen.«
»Ich glaube, mir wäre bedeutend wohler, wenn ich dorthin geschickt würde.«
Etwa sechs Stunden nach der Abfahrt fuhr der Zug auf ein Rangiergleis. Das einzige Licht kam von ein paar Bogenlampen, und die hatten keine große Chance gegen den strömenden Regen. Nach langwierigen und vor allem lautstarken Rangiermanövern, die auch den letzten an Bord des Zuges aus dem Schlaf rissen, war eine beträchtliche Anzahl von vorher dazu bestimmten Waggons abgekuppelt, um einige Zeit später ihren Weg ins Winterquartier nach Florida fortzusetzen. Der größte Teil des Zuges aber fuhr nach New York weiter.
Die Reise wurde von keinen ungewöhnlichen Vorkommnissen gestört. Bruno, der stets für sich selbst kochte, hatte seine Suite nicht ein einziges Mal verlassen. Aber er hatte mehrmals Besuch gehabt: zweimal von seinen Brüdern, einmal von Wrinfield und einmal von Harper, aber sonst von niemandem – da er allgemein als Einzelgänger bekannt war, wurde er auch als solcher behandelt.
Erst als der Zug auf dem Kai längsseits des Schiffes angekommen war, das ihn nach Genua bringen sollte – Genua war als Landehafen hauptsächlich deswegen ausgesucht worden, weil es als einer der wenigen Mittelmeerhäfen über ausreichend starke Krananlagen verfügte, um Waggons und Güterwagen zu verladen –, verließ Bruno seine fahrbare Wohnung. Es regnete noch immer. Einer der ersten Menschen, die er traf, war Maria. Sie trug eine marineblaue lange Hose und einen viel zu großen gelben Ölmantel und sah ausgesprochen elend aus. Sie sah ihn vorwurfsvoll an und kam mit der ihr eigenen Direktheit sofort zur Sache.
»Sie sind nicht gerade gesellig veranlagt, wie?«
»Es tut mir leid. Aber Sie wußten doch, wo Sie mich finden konnten.«
»Ich hatte Ihnen nichts zu sagen.« Und dann fügte sie inkonsequent hinzu: »Sie wußten auch, wo ich zu finden war.«
»Ich finde Telefonzellen beklemmend.«
»Sie hätten mich ja einladen können. Schließlich ist unsere vermeintliche Beziehung allgemein bekannt, und man hat es sicherlich erwartet. Schämen Sie sich denn gar nicht?«
»Weswegen sollte ich?«
»Weil Sie mich so sträflich vernachlässigt haben.«
»Ach so, deswegen. Ja, natürlich, ganz schrecklich!«
»Dann gehen Sie heute abend mit mir essen.«
»Also, wenn das keine geistige Übereinstimmung ist – genau das hatte ich vor!«
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu und ging, um sich umzuziehen.
Auf dem Weg zu dem netten italienischen Restaurant, das Maria ausgesucht hatte, wechselten sie dreimal das Taxi. Als sie endlich an ihrem Tisch saßen, fragte Bruno: »War das wirklich nötig? Dieses Theater mit den Taxis, meine ich.«
»Ich weiß es nicht. Ich führe nur meine Befehle aus.«
»Weshalb sind wir hier? Habe ich Ihnen so sehr gefehlt?«
»Ich habe Instruktionen für Sie.«
»Sie sind also auch diesmal nicht meiner Samtaugen wegen mitgekommen?« Sie schüttelte lächelnd den Kopf. Er seufzte: »Nun ja, man kann eben nicht alle erobern. Was für Instruktionen sind es?«
»Ich nehme an, Sie werden sagen, daß ich sie Ihnen auch in einer dunklen Ecke am Kai hätte zuflüstern können.«
»Eine sehr reizvolle Vorstellung. Aber nicht für heute abend.«
»Warum nicht?«
»Weil es regnet.«
»Wie fühlt man sich, wenn man so romantisch veranlagt ist wie Sie?«
»Und außerdem gefällt es mir hier. Das Restaurant ist ausgesprochen gemütlich.« Er betrachtete sie nachdenklich – ihr blaues Samtkleid, das Pelzcape, das für das Portemonnaie einer Sekretärin viel zu teuer war, und den Schleier von Regentropfen, der noch immer auf ihren schimmernden, dunklen Haaren lag. »Und außerdem könnte ich Sie da draußen nicht sehen. Aber hier kann ich es, und ich muß Ihnen sagen, daß Sie wirklich sehr schön sind. Wie lauten die Instruktionen?«
»Wie bitte?« Sie war einen Augenblick lang völlig verwirrt durch den abrupten Themawechsel, aber sie fing sich sehr schnell wieder und preßte in gespielter Wut die Lippen aufeinander. »Wir fahren morgen früh um elf
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