Circus
mindestens einem Dutzend Leute beobachtet.«
Sie schnitt eine Grimasse und stieg die Stufen zum Abteil hinauf.
4
D er größte Teil des folgenden Tages verging damit, die Dinge, die der Circus für seine Tournee brauchte, in dem endlos lang erscheinenden Zug zu verstauen. Die Geräte, Tierkäfige, zusammenlegbaren Büroräume, Jahrmarktsbuden, Brunos ›Theater‹ und die Tiere und Circusleute in dem Zug und auf den niedrigen Güterwagen unterzubringen, wäre für einen Laien ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen, aber die Angehörigen des Circus, die über Generationen Erfahrung auf diesem Gebiet hatten, erledigten diese Aufgabe mit geradezu heiterer Gelassenheit. Sogar das Verladen des Proviants für die Hunderte von Menschen und Tieren hätte für einen normalen Sterblichen kaum zu bewältigende Schwierigkeiten mit sich gebracht, aber für die Fachleute war es ein solches Kinderspiel, daß der letzte der Lebensmittellastwagen bereits knapp eine Stunde, nachdem der erste angekommen war, wieder abfuhr.
Um zehn Uhr abends sollte der Zug abfahren. Um neun Uhr saß Dr. Harper immer noch mit dem Admiral zusammen und studierte gemeinsam mit ihm zwei außerordentlich komplizierte Diagramme.
Der Admiral hatte in einer Hand seine Pfeife und in der anderen ein Glas Brandy. Er sah entspannt, ruhig und gänzlich unbesorgt aus. Es war vielleicht möglich, daß er entspannt und ruhig war, aber als Initiator der bevorstehenden Operation, als derjenige, der alles bis ins letzte Detail geplant hatte, konnte er unmöglich wirklich gänzlich unbesorgt sein.
»Ist jetzt alles klar?« fragte er. »Die Wachen, der Eingang, der Grundriß, der Ausgang und die Fluchtroute zur Ostsee?«
»Ja, alles klar. Ich hoffe nur, daß der verdammte Kahn pünktlich zur vereinbarten Zeit da ist.« Harper faltete die Pläne zusammen und schob sie tief in die Innentasche seines Mantels.
»Sie brechen an einem Dienstagabend ein. Das Schiff wird vom Freitag davor bis zum Freitag danach vor der Küste kreuzen. Damit haben Sie eine ganze Woche Spielraum.«
»Werden die Deutschen oder Polen oder Russen nicht mißtrauisch werden, Sir?«
»Selbstverständlich werden sie. Würden Sie sich vielleicht nichts denken?«
»Werden sie nicht protestieren?«
»Wie könnten sie? Seit wann ist die Ostsee Privatbesitz eines dieser Länder? Natürlich werden sie die Anwesenheit des Schiffes mit der Anwesenheit des Circus in Crau in Verbindung bringen. Das ist unvermeidlich, und es gibt nichts, was wir dagegen tun könnten. Der Circus, der Circus.« Der Admiral seufzte. »Wenn diese Sache schiefgeht, bin ich noch vor Ende des Jahres auf die Unterstützung der Wohlfahrt angewiesen.«
Harper lächelte. »Das wäre mir gar nicht recht, Sir. Aber Sie wissen besser als irgend jemand sonst, daß das Gelingen der Operation letztlich nicht von mir abhängt.«
»Ich weiß. Haben Sie sich schon ein Bild von unserem neuesten Mitarbeiter gemacht?«
»Ich kann nicht mehr über ihn sagen als alle anderen auch, Sir. Er ist intelligent, hart im Nehmen und scheint ohne Nerven auf die Welt gekommen zu sein. Er ist sehr verschlossen. Maria Hopkins sagt, es sei unmöglich, an ihn heranzukommen.«
»Was?« Der Admiral zog die Augenbrauen hoch. »Dieses bezaubernde Wesen? Ich bin sicher, wenn sie sich wirklich …«
»Ich meinte es nicht ganz so, Sir.«
»Ich weiß, Harper, ich weiß. Vergeben Sie mir den kleinen Scherz. Ich bin mir durchaus über den Ernst der Lage im klaren: Der Erfolg der Operation hängt von einem Mann ab, der uns letztlich völlig unbekannt ist. Und wenn die Sache schiefgeht, wird sein Tod mein Gewissen bis ans Ende meiner Tage belasten. Also bitte belasten Sie es nicht auch noch.«
»Wie bitte, Sir?«
»Ich meine, Sie sollen auf sich aufpassen. Was die Pläne betrifft, die sie gerade – hoffentlich sicher genug – in der Innentasche Ihres Mantels verstaut haben … es ist Ihnen doch klar, was mit Ihnen passiert, wenn man Sie damit erwischt?«
Harper seufzte. »Es ist mir klar: Ich werde mit durchschnittener Kehle und ausreichenden Gewichten beschwert in irgendeinem Kanal oder Fluß enden. Aber Sie können ja zweifellos jederzeit einen Ersatz für mich finden.«
»Zweifellos. Wenn der momentane Trend allerdings anhält, werden mir die Ersatzleute bald ausgehen. Es wäre mir also lieb, wenn ich gar nicht erst in die Verlegenheit käme, auf sie zurückgreifen zu müssen. Die Sendezeiten und den Code haben Sie also komplett im Kopf?«
»Sie haben
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