Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab
einem parfümierten Taschentuch die Stirn getupft. »Nun, Sir, ein Perückenmacher muss von elegantem, ansehnlichem Äußeren sein«, hatte er gesagt und sich dabei an Mr Chalfont gewandt, der für die Ausbildung der Findelkinder zuständig war. »Und an beidem fehlt es diesem Jungen ganz eindeutig. Noch dazu … tztztz … sind das Teufelshörner, oder sollen das etwa Haare sein?«
Bottle Top war es nicht viel besser ergangen. Kaum hatte er den Mund aufgemacht, um etwas zu sagen, war der Besucher angewidert zurückgewichen. »Was geben sie ihnen denn hier zu essen, Sir?«, hatte er gesagt, als er die Zähne des Jungen sah. »Glas?« Schließlich hatte er Aaron genommen, und das auch nur, weil sein Kopf vor Kurzem kahl geschoren worden war – wegen Läusebefall.
»Komm, Cirrus!«, sagte Bottle Top, der schon ungeduldig an der Tür stand; doch bevor Cirrus die Flucht gelang, hatte Mrs Kickshaw schon ihren Schürzenzipfel in sein Ohr gesteckt und drehte gründlich.
»So, jetzt ab mit dir«, sagte sie und stäubte ihm noch hastig die Mehlspuren aus den Locken. »Vielleicht hast du ja diesmal Glück.«
Sie begleitete ihn zur Tür und schob ihn hinter Bottle Top her, der auf dem Weg nach oben bereits an der Kapelle vorbeirannte. Meister, die einen Gehilfen suchten, wurden immer in die Bildergalerie geführt.
Cirrus nahm sich Zeit, strich mit den Fingern an den Backsteinmauern entlang und um die Geländerpfosten der großen Treppe, die bis zum Schlafsaal ganz oben im Haus führte. Schließlich kam er zu dem Abschiedszimmer, in dem Mütter darauf warteten, dass ihre Babys vor der Aufnahme ins Findelhaus nach Krankheitsanzeichen untersucht wurden. Jonas hatte ihm einmal erzählt, wenn man das Ohr fest genug an die Tür drücke, könne man auf der anderen Seite das schwache Jammern der Mütter hören.
»Ah, da bist du ja«, sagte Mr Chalfont, der mit seiner stattlichen Figur den Türrahmen ausfüllte. »Genau der Junge, auf den ich gewartet habe.«
Er führte Cirrus in einen Raum mit Ölgemälden an den Wänden und Gardinen an den Fenstern, durch die man auf die Wiesen hinter dem Heim sehen konnte. Auf dem Teppich vor dem Kamin waren in einer Reihe hintereinander, ordentlich und der Größe nach, acht Jungen aufgestellt: von Jonas an dem einen Ende bis zu dem vor Neugier zappelnden Bottle Top am andern. Es war so ähnlich wie bei dem monatlichen Besuch des Läusedoktors, nur dass statt der widerwärtigen Gestalt von Mr Mudgrave, der mit geschwärzten Fingern die Köpfe der Jungen nach Läusen und Nissen untersuchte, ein blasser Herr in lilafarbenem Gehrock und gerüschten Ärmelaufschlägen vor ihnen stand. In der Hand hatte er einen Stock aus Bernstein.
Cirrus empfand instinktiv eine Abneigung gegen den Mann, er fuhr zurück, prallte aber mit Mr Chalfont zusammen, der wie ein Vater hinter ihm stand. Der Vorsteher fasste Cirrus fest an der Schulter und platzierte ihn direkt neben Jonas an das vordere Ende der Reihe.
»Nun also, Jungen«, sagte der Vorsteher. »Mr Leechcraft ist ein Herr von großer Gelehrsamkeit, ein Naturphilosoph, der schon in den entlegensten Winkeln der Welt gewesen ist und Dinge gesehen hat, deren Existenz ihr euch kaum vorstellen könnt. Er hat eine prächtige Sammlung von Raritäten zusammengetragen, die er in einem Museum in Leicester Fields ausstellt. Nun ist er hier, um sich einen von euch als Gehilfen auszusuchen.«
Die Jungen traten unbehaglich von einem Fuß auf den andern und schauten zwischen Mr Chalfont und dem tadellos gekleideten Herrn hin und her. Noch auffallender als sein Gehrock und all die Rüschen war die verwegene Kette, die er sich um den Hals geschlungen hatte: ein Reif aus Muschelschalen, Perlen und Knochensplittern, dazwischen etliche scharfe Schneidezähne einer unbekannten Tierart.
»Haifischzähne«, raunte der Mann und beantwortete damit die vor Entsetzen gebannten Blicke der Jungen. Sein langes dünnes Gesicht war von roten Pusteln übersät. Die schwarzen Locken seiner Perücke fielen ihm bis auf die Schultern.
Seinen Bernsteinstock schwingend begann er, langsam vor der Reihe der Jungen auf und ab zu gehen.
»Ich bin auf der Suche«, sagte er mit unangenehm hoher Stimme, »nach einem Jungen, der wie ein Stern an meinem Firmament erstrahlen soll. Der die Attraktion in meinem Haus der Wunder wird. Er muss ein Junge von seltenem Mut, von Disziplin und vor allem von Tugendhaftigkeit sein.«
Die Art, in der er das vortrug, ließ die Jungen erschaudern.
Den Mann
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