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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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könnte. Er hatte immer gedacht, sie würden gemeinsam von einem Meister aufgenommen werden.
    Nun sah er unglücklich zu, wie Mr Chalfont den verblüfften Jungen anstrahlte.
    »Nun, Abraham, es sieht ganz so aus, als hättest du einen Beruf«, sagte der Vorsteher. »Ein neuer Lebensabschnitt für dich. Du musst alles tun, was Mr Leechcraft von dir verlangt, hörst du? Ihm immer gehorsam dienen.«
    Bedrückt sah Bottle Top zu Cirrus hinüber, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Vorsteher. Er konnte nur nicken, sprachlos vor Überraschung.
    »Ein Kind, das seine Meinung nicht gleich herausplärrt«, kommentierte Mr Leechcraft. »Noch besser!«
    Einen Augenblick gab er noch den Puppenspieler, dann ließ er seinen Stock sinken und klopfte einmal damit auf den Boden, um den Bann zu brechen. Bottle Tops Haare fielen zurück und legten sich wieder wie gewohnt an seinen Kopf, wenn auch etwas strubbeliger als vorher.
    Mr Chalfont entließ die anderen Jungen in ihre Unterrichtsstunden und führte Mr Leechcraft mit Bottle Top im Schlepptau in einen angrenzenden Raum, um die nötigen Formalitäten vorzubereiten.
    Cirrus schlurfte zu einer harten Holzbank vor dem Abschiedszimmer und setzte sich, schwindlig und wie betäubt. Wie sollte er ohne Bottle Top auskommen? Bottle Top war sein bester Freund, sein einziger Freund. Er war derjenige, der Cirrus mit hinaus auf die Wiesen nahm, der immer für Spaß und Abenteuer sorgte.
    »Also nur noch du und ich, wie’s aussieht«, sagte Jonas bitter enttäuscht im Vorübergehen. »Die letzten, die von den Älteren noch übrig sind. Wer, meinst du, wird der Allerletzte sein?«
    Cirrus ließ den Kopf hängen und bemühte sich, das mulmige Gefühl in seinem Bauch zu ignorieren. Kurz darauf kam Bottle Top auf ihn zugerannt. »Mr Leechcraft sagt, er will mir ein funkelnagelneues Gebiss kaufen!«, rief er, und sein Gesicht leuchtete vor Aufregung. »Und feinere Kleider auch!«
    Cirrus versuchte ein Lächeln, aber er war nicht mit dem Herzen dabei. Wie konnte Bottle Top nur so begeistert sein, wo er doch fortging? Was würde aus ihrer Freundschaft werden? Gerade wollte er etwas sagen, da sah er die Gestalt mit der dunklen Perücke auf sie zukommen.
    »Schluss jetzt!«, blaffte Bottle Tops neuer Meister. »Wir haben Wichtiges vor. Komm schon. Du wirst mir Reputation einbringen.«
    Er führte den Jungen die Treppe hinab zum Ausgang und hinaus in die schwüle Nachmittagsluft. Cirrus sagte nichts, folgte ihnen jedoch in sicherem Abstand, und während er sich flach wie ein Schatten gegen die Mauern presste, sah er, wie der Mann, je weiter sie sich vom Heim entfernten, mit umso härterem Griff die Schulter des Jungen umklammert hielt. Und dann, ehe Cirrus auch nur daran denken konnte, Bottle Top zuzuwinken oder ein Abschiedswort zu rufen, verschwand sein Freund wortlos im Innern einer schmucklosen Kutsche. Sie rollte eilig der Stadt entgegen und hatte sich bald im Gewirr der Häuser und verwinkelten Gassen verloren. Bottle Top war aus seinem Leben verschwunden, vielleicht für immer.
    Cirrus kehrte um und ging langsam zum Haus zurück. Allein.
    »Ein Quacksalber, wenn du mich fragst«, sagte Mrs Kickshaw, als er zu ihr in die Küche kam und ihr alles erzählte. »Von der Sorte hab ich schon gehört. Nicht besser als ein Scharlatan, ein Lump! Ha!« Sie spuckte ins Feuer. »Der Vorsteher sollte es wirklich besser wissen und kleine Jungen nicht Halunken anvertrauen!«
    Sie sah Cirrus’ sorgenvoll gerunzelte Stirn und zog ihn noch fester an sich, so fest, dass er den überwältigenden Geruch ihrer von Hefe braun verschmierten Schürze riechen konnte. Er wollte sich befreien, aber ihr Griff war so stark, dass er sich schließlich wie ein kleiner Junge in ihre Arme sinken ließ.
    »Zerbrich dir bloß nicht deinen hübschen kleinen Kopf wegen Abraham, Schätzchen«, sagte sie und wiegte ihn hin und her. »Wirst sehen, der findet sich schon zurecht in der Welt.«
    Sie blickte in die Ferne. Und im Gegensatz zu dem Trost, den sie in ihre Worte legen wollte, schwang in ihrer Stimme etwas dunkel Ahnungsvolles.
    Cirrus sah sie an.
    »So«, sagte sie und wischte ihm die Tränen ab, die sich irgendwie in seine Augen gestohlen hatten. »Dein Tag wird schon noch kommen, Cirrus. Früh genug. Und dann wird auch dich jemand haben wollen.«
     

12 Jahre vorher
London 1771
     

     

Die Akademie
der Naturwissenschaften
    Vor den Stufen, die zur Strand Lane hinaufführen, legt ein Boot an, und zwei

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