Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
Vom Netzwerk:
Männer gehen von Bord. Der eine trägt eine dunkelblaue Marineuniform, die wie angegossen sitzt, der andere eine robuste Jacke aus schwerem Wollstoff, die seine kräftige Gestalt nur undeutlich erkennen lässt. Über ihnen ragt das wuchtige Gebäude der Akademie der Naturwissenschaften auf, ein Meisterwerk der Architektur am Ufer der Themse, dessen hundert oder mehr Fenster in funkelndem Kerzenlicht erstrahlen.
    Jeder der beiden Männer drückt dem in Lumpen gehüllten Fährmann, der am Bug steht, eine Münze in die ausgestreckte Hand, dann steigen sie eilig über eine Steintreppe vom Fluss zur Straße hinauf. Durch eine düstere Einfahrt gelangen sie auf einen kopfsteingepflasterten Innenhof und betreten von dort aus das Gebäude der Akademie. Sie kommen in eine weite, von Pfeilern und Marmorbüsten gesäumte Halle. Visionäre der Wissenschaft starren von ihren Steinsockeln längs der Wände mit toten Blicken auf sie herunter.
    Die beiden Männer schenken ihrer Umgebung wenig Beachtung, sondern folgen einem Diener durch das breite Treppenhaus nach oben und stehen schließlich vor einer imposanten Flügeltür. Die Türen sind aus alter Eiche, die getäfelten Paneele mit geschnitzten Wolken verziert, und aus der so entstandenen Wolkenwand sieht man eine göttliche Hand hervorkommen. Darüber ist in lateinischer Sprache der Satz geschnitzt: ligatur mundus arcanis nodis. Die Welt ist in geheimen Knoten gebunden.
    Die Türen schwingen auf, und die zwei Männer betreten einen großen, kahlen, hell erleuchteten Raum. Ein langer Tisch steht in der Mitte unter einem gläsernen Kuppeldach, durch das schwach das Mondlicht fällt. Am Tisch sitzen die bedeutendsten Männer Londons: Kaufleute, Bankiers, Naturphilosophen und Offiziere der Marine. Eine einzige Frau ist unter ihnen: eine Dame in einem makellos silbrigen Gewand.
    Gerade wendet sich ein Mann in roter Jacke an die Tischrunde.
    »Der Atem Gottes. Bedenken Sie das, Gentlemen«, sagt er mit dröhnender Stimme. »Die komplizierteste, am schwersten fassbare Kraft überhaupt, der Inbegriff der Elemente! Gelehrte diskutieren schon seit Jahrhunderten über ihre Existenz, und manch wagemutiger Seemann hat sich auf die Suche danach gemacht. Stellen Sie sich vor, wir könnten die Quelle dieser Kraft erschließen, sie in unseren Besitz bringen und bewahren. Wir wären wie Götter! Alle Macht der Welt stünde uns zur Verfügung!« Der Mann schlägt mit der Faust auf den Tisch. »Wir wollen diese Kraft besitzen, Gentlemen, und, zum Donnerwetter, wir werden sie besitzen!«
    Ein Windstoß peitscht um das Haus, und die Feuer in den Kaminen längs der Wände fachen prasselnd auf.
    »Aber wie sollen wir ihn finden, den Atem Gottes?«
    Obwohl die Frage allenfalls als leise Andeutung von Zweifel im Raum steht, ist sie scheinbar doch ausreichend, um den Mann mit seinem halb an die Lippen gehobenem Weinglas innehalten zu lassen. Sein Blick wandert um den Tisch, bis er den Eigentümer der schwachen Stimme ausmacht: Es ist ein Kartograf, der jetzt aus den enormen Taschen seines Gehrocks mehrere eng zusammengerollte Karten zieht.
    »Es heißt, der Atem Gottes weht jenseits der Grenzen der Welt«, fährt der Kartograf fort. »Weiter, als je ein Mensch gefahren ist. Ein solches Unternehmen zu wagen, wäre doch wohl töricht?«
    Der Präsident der Akademie holt tief Luft und stellt sein Glas zurück auf den Tisch, wobei er etwas Wein auf dem Tischtuch verschüttet.
    »Töricht?«, wiederholt er. »Dann sagen Sie mir, Sir, warum die Franzosen, die Spanier und Portugiesen alle danach suchen! Warum schicken sie ihre Schiffe in die entferntesten Winkel der Erde? Terra Australis Incognita? Meinen Sie, das ist es, wonach sie suchen? Nein, Sir, das geben sie nur vor! In Wirklichkeit suchen sie nach dem Atem Gottes!«
    »Aber die südliche Hemisphäre ist von einer Eis- und Nebelwand eingeschlossen«, sagt der kleine Mann unerschütterlich. »Allen Aussagen zufolge unpassierbar.«
    Er rollt eine der Karten auseinander und breitet sie auf dem Tisch aus. Das Papier zeigt ein filigranes Netz aus fein gezogenen Linien, die in der Nähe der Antarktis alle im Nichts enden. Der untere Kartenteil stellt einen Abgrund der Unwegsamkeit dar. »Wer also soll uns zu diesem rätselhaften Fluidum führen?«
    Der Präsident wirft einen kurzen Blick zur Tür und verzieht den Mund zu einem Lächeln. »Nun, Sir, da kenne ich genau den richtigen Mann«, sagt er. Er nickt den zwei Neuankömmlingen zu, die im Halbdunkel

Weitere Kostenlose Bücher