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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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vollkommene Klarheit!«, sagt er, während er das aus dem Äquatorspalt dringende Licht mit einer speziellen Linse untersucht, die alles extrem vergrößert. »Was für ein Leuchten! Das muss eingehend erforscht werden! Das hat eine Bedeutung, die wir erst richtig begreifen müssen!«
    »Geben Sie her, Sie Zwerg«, sagt der rubinberingte Kaufmann gegenüber und springt vor.
    Aber nun greift Felix ein. Gewaltsam nimmt er Mr Sidereal die Terrella ab und gibt sie James zurück, der die Kugelhälften zusammenfügt und sich den kleinen Globus wieder um den Hals hängt.
    Allmählich verblasst das wundersame Licht, das eben noch den Raum durchstrahlte, und die Diener, bis jetzt vergessen an den Wänden stehend, treten eilig vor, um die Kerzen wieder anzuzünden. Ihr Licht erscheint trüb und zaghaft, verglichen mit dem funkelnden Glanz zuvor.
    »So«, sagt der Präsident der Akademie und blickt in die Runde. »Was sagen Sie nun, Gentlemen? Sind wir uns einig? Gehen wir diese Unternehmung an?«
    Plötzlich reden alle durcheinander, und es dauert nicht lange, da ist eine einstimmige Entscheidung erreicht.
    »Gut«, sagt der Präsident mit einem selbstgefälligen Lächeln. Er wendet sich an James. »Wir stehen mit unserem Vermögen und unseren Fähigkeiten hinter Ihnen, Flux, nicht zu reden von den neuesten Navigationsgeräten, die Ihnen den Weg weisen werden – damit ist alles für unseren Erfolg getan. Bestimmen Sie die Koordinaten des Ortes, an dem der Atem Gottes weht, und bringen Sie, wenn möglich, noch mehr von diesem himmlischen Fluidum zurück, dann werden Sie und Ihre Familie reich belohnt werden.«
    Noch einmal hört James die ängstliche Stimme seiner Frau im Ohr, doch die Verlockung, wieder in See zu stechen, ist zu groß. Ohne noch länger darüber zu grübeln, nimmt er den Auftrag an. »Ich erwarte Ihre Anweisungen«, sagt er schlicht und ignoriert dabei Felix’ kummervollen Blick neben sich.
    Der Präsident nickt. »Sorgen Sie tunlichst dafür, dass Sie nicht scheitern«, sagt er. »Die Erwartungen unserer großen Nation und das Vermögen der Akademie ruhen auf Ihren Schultern.«
    Nach dieser Erklärung verlassen James und Felix den Raum und gehen über die Treppe hinunter zum Eingang des Gebäudes. Es ist noch kälter geworden und hat leicht zu schneien begonnen. Kleine Eiskristalle fallen sacht vom Himmel.
    »Mir gefällt das nicht, James«, sagt Felix auf dem Weg zum Fluss. Sein Atem zittert in der Luft. »Hast du denn nicht gesehen, wie sie sich in den Haaren lagen, kaum dass du ihnen den Atem Gottes gezeigt hast? Es ist gefährlich, solchen Leuten Macht in die Hände zu legen.«
    »Ach, Unsinn«, sagt James. »Wir werden uns mit diesem Auftrag einen Namen machen.«
    Felix sieht seinen Freund an. »Ich glaube, dein Urteilsvermögen ist vom Ehrgeiz getrübt.«
    Missmutig runzelt James die Stirn und hört zu, wie das Wasser dunkel gegen die Stufen klatscht. »Bist du denn wirklich gegen mich?«, fragt er, und seine Stimme klingt jünger und weniger sicher als zuvor.
    Felix schaut in die Ferne und lässt sich viel Zeit für eine Antwort. Vom anderen Flussufer her schimmern Laternenlichter im Wasser. Endlich schlägt er den Jackenkragen hoch und stampft mit den Füßen auf den Boden, sodass die kleinen Schneekappen von seinen Stiefeln fallen, die sich inzwischen dort gebildet haben.
    »Du weißt doch wohl, dass du an mir nicht zweifeln musst, James«, sagt er schließlich, und sein finsterer Gesichtsausdruck hellt sich ein wenig auf. »Ich werde bei dir bleiben bis zum Ende. Ich wüsste nur zu gern, wie dieses Ende aussehen wird.«
     

12 Jahre später
London 1783
     

     

Im Haus von Madame Orrery
    Der Körper lag auf dem Fußboden. Langsam trat Pandora näher. Die Frau lag noch genau so, wie sie nachts zuvor gefallen war: Ihr Mund stand offen, und ihren Kleidern entströmte ein ekelhafter Geruch. Ein leerer Becher Sorgentöter war ihr aus der Hand gerutscht.
    Pandora lauschte angestrengt auf das leise Schnarchen, das für gewöhnlich im Atmen der Frau mitschwang, aber da war nichts. Kein Laut. Die Lippen der Frau waren zu einem stummen Schrei verzerrt. Und dann, als sich eine Fliege auf ihre Wange setzte und langsam über das starre Auge kroch, dämmerte Pandora die Wahrheit: Mrs Stockton, ihre Amme, war tot. Der Gin hatte sie letztendlich umgebracht.
    Pandora ging zu dem Jungen, der sie von einem Strohlager in der Ecke aus beobachtete. Er war exakt so alt wie sie, fast fünfeinhalb, aber so zart und

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