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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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bei der Tür stehen. »Darf ich vorstellen, Gentlemen, Mr James Flux, Erster Offizier in der Marine Seiner Majestät.«
    Dreißig Jahre alt, jugendfrisch und sauber rasiert tritt James an den Tisch.
    Köpfe wenden sich ihm grüßend zu.
    »Sir! Er ist kaum mehr als ein Junge«, sagt jemand auf der linken Tischseite, ein Mann, dessen Wangen wie marmorierter Käse aussehen. »Und ganz gewiss kein Gentleman.«
    In James steigt eine Woge gegensätzlicher Empfindungen auf, doch er hält den ablehnenden Blicken stand. Er hat dichtes dunkles Lockenhaar, und die Knöpfe an seiner frisch gebürsteten Uniformjacke glänzen im Licht.
    »Ich versichere Ihnen, Offizier Flux ist alles andere als ein Junge«, sagt der Vorsitzende. »Er hat in seiner kurzen Laufbahn bereits eine Inselgruppe im Südpazifik kartografisch erfasst und sich in der Marine Seiner Majestät rasch zum Offizier hochgedient. Ja, es heißt sogar, wo immer er segelt, sind ihm die Winde gewogen und die See glättet sich vor ihm. Einen besseren Seemann gibt es nicht!«
    Jemand lacht spöttisch auf. »Und wer ist der Tölpel im Affenpelz neben ihm? Doch nicht etwa ein Wilder, den er auf einer der Inseln aufgelesen hat?«
    Gelächter schwappt um den Tisch, und James spürt, wie sich der schwere kräftige Körper seines Freundes Felix unter der abgewetzten Wolljacke versteift. Gemeinsam haben sie den eisigsten Orkanen und stärksten Stürmen um Kap Hoorn getrotzt – James hofft, er werde nun auch diese Beleidigungen wie Gischt an sich abperlen lassen.
    »Mr ›Fearnought‹ Hardy ist mein Zweiter Offizier«, sagt er ruhig und benutzt den Namen, unter dem sein Kamerad auf See allgemein bekannt ist. »Ein Mann, dem ich mein Leben anvertrauen würde. Er ist der mutigste Mensch, den ich …«
    Einer der Kaufleute tut diese Erklärung mit einer trägen Handbewegung ab.
    »Wie dem auch sei. Sagen Sie uns doch freundlicherweise, Flux, weshalb wir Sie mit einem derart ehrenhaften Auftrag betrauen sollten? Sie erwarten von uns, dass wir unser Privatvermögen in Ihre Suche investieren – eine Suche nach etwas, das womöglich gar nicht existiert. Wie gedenken Sie, diesen ›Atem Gottes‹ aufzuspüren?«
    »Es ist ganz einfach, Sir«, sagt James und sieht dem Mann offen ins Gesicht, »denn ich habe ihn schon einmal gesehen.«
    Da breitet sich Stille um den Tisch aus, eine so absolute Stille, dass James die Flammen an den Kerzendochten flackern hört. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet, und zum ersten Mal nimmt er die ganze Versammlung bewusst wahr: die stolzen Kaufleute und die schmallippigen Bankiers zu seiner Linken, die Philosophen mit den glühenden Blicken zu seiner Rechten, die schläfrigen Astronomen und Geistlichen an der anderen Stirnseite des Tisches. Unmittelbar neben James befindet sich die einzige Frau im Raum, eine silberhaarige Dame mit zarten Wangenknochen und hoher Stirn, deren Schönheit ihm fast den Atem nimmt, und rechts von ihr sitzt eine in sich zusammengesunkene Gestalt, nicht größer als ein Kind, auf einem hochlehnigen Stuhl auf Rädern.
    »Ich hoffe doch, Madame Orrery und Mr Sidereal sind Ihnen bekannt?«, raunt ihm der Präsident ins Ohr.
    James neigt den Kopf. »Allerdings. Ich kenne beide vom Hörensagen.«
    Madame Orrery ist die hoch angesehene Magnetiseurin, die mit ihrer Fähigkeit, Gedanken zu lesen, schon ganz London vor Rätsel gestellt hat. Und Mr Neville Sidereal, Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, steht in dem Ruf, der klügste Mensch der Welt zu sein. Er hat ein geniales System von Linsen entwickelt, das ihm erlaubt, von seinem Observatorium auf dem Dach seines Hauses über die ganze Stadt zu blicken.
    Indem er nun an der Armlehne seines Stuhls einen Knopf dreht, der wiederum eine Reihe hölzerner Rädchen und Zahnräder in Bewegung setzt, rollt Mr Sidereal näher heran. »Sie haben ihn gesehen?«, fragt er.
    »Ja«, sagt James. »Der Atem Gottes erschien als funkelndes Licht über der Destiny, als ich noch fast ein Junge war. In dem Moment, als ich ihn erblickte, verschwand er hinter einer Nebelwand. Doch ich konnte kurz sehen, woher er kam: von einem riesigen Kontinent aus schimmerndem Eis, der von einer unvorstellbaren Aura umgeben war.«
    »Was habe ich euch gesagt?«, ruft der Geistliche und springt vom Tisch auf. Er ist ein groß gewachsener Mann mit buschigem Haar. »Was sind denn die Eiskappen, Gentlemen, wenn nicht das gefrorene Wasser der Sintflut – dieses übermächtigen Regens, den Gott gesandt hat, um die sündige

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