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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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ein freundliches warmherziges Gesicht und hellgrüne Augen, über ihrem braunen Haar lag ein rötlicher Schimmer. Er legte das Buch zurück und ging zu dem Porträt, sehnte sich plötzlich nach der liebevollen Hand einer Mutter. Unter dem Bild stand: Elizabeth Chalfont, 1723–1748.
    Er warf einen Blick auf den Schreibtisch des Vorstehers. Bisher war ihm nie der Gedanke gekommen, der Vorsteher könnte eine eigene Vergangenheit haben, könnte möglicherweise sogar verheiratet gewesen sein. Doch jetzt, wo er sich genauer umsah, stellte er fest, dass der Schreibtisch nicht nur ein Durcheinander von Federkielen und Papieren war, sondern auch ein Denkmal zu Ehren seiner Frau.
    In der obersten Schreibtischschublade lag ein Medaillon mit einer Haarlocke darin. Vorsichtig strich er darüber, und plötzlich tauchte tief in ihm eine andere längst vergessene Erinnerung auf: ein goldener Schimmer, ein warmer wohltuender Geschmack auf der Zunge.
    Er fand die Ingwerdose hinten auf dem Schreibtisch, und als er sie öffnete, fiel ihm sofort wieder das feurige Aroma ein, das sich damals, als er als kleiner Junge zum ersten Mal ein Ingwerstück kosten durfte, zwischen seinen Wangen entfaltet hatte. Er bohrte die Finger in die Dose, um das größte Stück herauszusuchen, da spürte er auf einmal etwas Glattes zwischen den Fingern. Ein Stück Schnur.
    Neugierig angelte er es heraus und förderte dabei eine kleine, an der Schnur hängende Metallkugel zutage.
    Sein Herz setzte fast aus, und er empfand ein ungewohntes Kribbeln in den Fingern. An der Kugel hing ein Metallschild ohne Nummer.
    Er stellte die Ingwerdose wieder an ihren Platz und ließ die Kugel in seiner Handfläche hin und her rollen. Warum war sie versteckt? So besonders sah sie doch gar nicht aus. Vielleicht war das silbrige Metall wertvoll?
    Während er die Oberfläche mit seinem Nachthemd polierte, sah er, dass in die Kugel die Umrisse ferner Länder und Kontinente eingraviert waren. Zwei Worte standen in einer verzierten Umrahmung am unteren Teil: James Flux.
    Er schauderte vor Aufregung.
    Das war sein Erbe, sein persönliches Erinnerungsstück! Er war ganz sicher! Alles war so, wie das Mädchen gesagt hatte. Aber warum war diese unheimliche Frau hinter seiner Kugel her? Nicht zu reden von dem Mann aus Black Mary’s Hole!
    In der Galerie nebenan waren jetzt Stimmen zu hören, und Cirrus zwängte sich hastig in die Lücke zwischen Tür und Wand, in der Hoffnung, nicht gesehen zu werden. Die Kugel umschloss er fest mit der Hand, er wollte sich nie mehr von ihr trennen.
    Zwei Gestalten hatten die Galerie betreten und standen sich nun wie Duellanten auf dem Teppich gegenüber. Den Vorsteher erkannte Cirrus auf den ersten Blick.
    »Es ist nicht meine Schuld«, sagte der kleine gedrungene Mann, dem das Haar wirr vom Kopf abstand. »Er ist eben ein Junge. Was hätten wir denn tun sollen?«
    Das Gesicht des anderen Mannes lag im Schatten. Seine Stimme war schroff und leise. »Sie hätten besser auf ihn achtgeben sollen. Ihn nie aus den Augen lassen.«
    Cirrus erzitterte. Diese Stimme war nicht zu verwechseln. Es war der Mann aus Black Mary’s Hole! Nach einem verstohlenen Blick um die Tür konnte Cirrus die dunkelblaue Jacke und den Dreispitz in seinen Händen erkennen.
    »Na komm«, sagte der Vorsteher. »Du warst doch früher auch nicht anders! Hast du das vergessen? Ein glückliches unbekümmertes Kind. Was hat dich so verändert?«
    »Ich habe gesehen, wie es auf der Welt zugeht«, sagte der Fremde. »Und ich bin erwachsen geworden.«
    Cirrus spürte, wie ihm das Blut aus den Wangen wich. Am liebsten wäre er augenblicklich aus dem Arbeitszimmer geflohen, aber sein Weg durch die Galerie war versperrt. Er würde bleiben müssen, wo er war. Er drückte sich eng an die Wand und lauschte weiter.
    »Die Frau«, sagte der Mann aus Black Mary’s Hole. »Sie war gestern Abend da. Ich hab sie gesehen.«
    »Madame Orrery?«, sagte der Vorsteher und wurde ein wenig rot. »Nein, nein, es ist nicht, was du denkst. Sie hat mir nur in einer privaten Angelegenheit geholfen, das ist alles. Sie hat mich von meiner Gicht befreit. Sie versteht sich auf die Methode des Mesmerismus.«
    »Eine grässliche Frau ist das, man darf ihr nicht über den Weg trauen«, sagte der Fremde. »Sie hat die Kugel früher einmal gesehen und wird nicht ruhen, bis sie sie gefunden hat.«
    Cirrus rollte die Kugel wieder zwischen den Fingern hin und her und fragte sich, wofür sie gut sein sollte. Ob man

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