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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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erlosch.
    »Der Stamm der Oona existiert nicht mehr, Mädchen«, sagte er. »Er ist tot.«
    Pandora blieb der Mund offen stehen. »Warum?«, sagte sie. Das Wort polterte, ohne dass sie es beabsichtigt hatte, aus ihrem Mund. »Ich meine, wie ist das passiert?«
    Mr Hardy seufzte und zeigte nach Osten zur Deptford Werft, wo noch vor wenigen Augenblicken die Seile und Wanten der Schiffe wie Goldfäden gefunkelt hatten.
    »Mit all dem hier«, sagte er und deutete von Greenwich in der Ferne bis zu dem Uferabschnitt fast direkt unter ihm. »Sie haben ihre Schiffe, Waffen und Krankheiten bis in den fernsten Winkel der Welt geschickt, weil sie unbedingt den Atem Gottes finden wollten.«
    Schwerfällig ging Mr Hardy zurück zur Dachkuppel und machte sich daran, die Vorräte wieder im Korb zu verstauen. Pandora folgte ihm schweigend.
    »Es war unsere Schuld«, sprach er schließlich weiter. »James’ und meine. Nachdem unser Schiff vermisst war, suchten sie natürlich nach uns und tauchten dabei auch auf der Insel auf. Als sie merkten, dass ich James’ Kugel nicht hatte – ja, dass er sie auf der Fahrt gar nicht bei sich gehabt hatte –, nahmen sie mit, was sie finden konnten … und töteten die Vögel zu ihrem Vergnügen.«
    Felix Hardy spuckte auf den Boden und schob sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Wieder sah Pandora die sonderbar verschlungenen Linien auf seiner Haut. Ob sie etwas mit dem Stamm der Oona zu tun hatten? Auch um seine Fingerknöchel ringelten sich schwarze Spiralen.
    Mr Hardy blickte zum Vogel auf der Stange über ihnen. »Ein einziges Ei ist übriggeblieben«, sagte er. »Das von Alerion. Bis ein Halcyon ausschlüpft, dauert es nämlich Jahre. Es sind edle Tiere, seltene Tiere. Alerion ist … der Letzte seiner Art. Eine aussterbende Gattung.«
    Pandora sah den Vogel mit brennenden Augen an. Die Fäuste musste sie ballen, um nicht vor Zorn in Tränen auszubrechen.
    Der stolze Vogel schenkte den beiden keinerlei Beachtung, sondern putzte sich unbeirrt weiter.
    Mr Hardys Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Die Schiffe legten ab, aber sie ließen zu allem Unheil, das sie schon angerichtet hatten, etwas noch viel Fürchterlicheres zurück. Den Tod. Ich war zu zivilisiert, um an dem Fieber zu sterben, das den Stamm hinwegraffte. Ich war der einzige Überlebende. Als irgendwann ein Schiff vorüberkam, fing ich in einem Spiegel Sonnenlicht ein und gab ihnen Zeichen. Und so machte ich mich wieder nach England auf, mit weiter nichts im Gepäck als einem verbeulten Fernglas und einem kostbaren Ei. Monatelang habe ich gewartet, bis der Vogel ausschlüpfte …«
    »Und was wollen Sie jetzt tun?«, fragte Pandora, neugierig auf das Ende seiner Geschichte.
    »Den Jungen finden«, sagte er, »und zurückbringen, was ihm rechtmäßig nicht gehört – was keinem Menschen gehört. Die Kugel, die den Atem Gottes enthält.«
    Er griff in den Sack, zog wieder eine tote Ratte heraus und warf sie Alerion zu, der sie mit seinen Klauen fing und mit einem einzigen Bissen verschlang – Beine, Schwanz, alles.
    »Fressen tut er ganz schön viel«, sagte Pandora, die ihn aufmerksam beobachtete.
    Endlich gelang Mr Hardy ein Lächeln. »Ja, das stimmt. Halcyonvögel wachsen beängstigend schnell, und dieser hier hat noch dazu einen unstillbaren Appetit. Aber er braucht solche Mengen, um das Luftschiff flottzuhalten.«
    »Darf ich ihn füttern?«, fragte Pandora plötzlich.
    Mr Hardy sah auf. »Warum nicht?«, sagte er und gab ihr eine Ratte. »Am besten nimmt man sie am Schwanz und wirft sie hoch.«
    »Nein«, sagte Pandora nervös. »Ich meine, darf ich ihn… aus der Hand füttern?«
    Mr Hardy schluckte. »Ach, ich weiß nicht recht, Kind. Alerion ist ein ziemlich furchterregendes Tier, und Halcyons freunden sich nicht leicht mit Fremden an.«
    »Bitte, Mr Hardy«, sagte Pandora, die immer noch fasziniert den wilden glühenden Vogel anstarrte. Alerion legte den Kopf schief und musterte sie mit einem harten glitzernden Blick. Wie Rubine leuchteten seine Augen. »Ich würde es so gern versuchen!«
    »Na schön, wenn du unbedingt willst«, sagte Mr Hardy und stand auf. »Aber zieh erst die hier an.« Er gab ihr ein Paar schmuddelige Lederhandschuhe. »Sonst isst er deine Finger als Vorspeise.«
    Pandora schob die Hände in die harten Handschuhe, die steif wie Panzerplatten ihre Handgelenke umschlossen.
    »Jetzt streck den Arm aus wie einen Baumast«, sagte er. »Und schön stillhalten.«
    Pandora tat, was er sagte,

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