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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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zitterte aber doch ein bisschen, als Alerion auf seiner Stange auf und ab hüpfte und sie mit hungrigen Augen beobachtete.
    Mr Hardy zog wieder eine Ratte am Schwanz aus dem Sack und schwenkte sie lockend vor Alerion hin und her.
    Sofort schlug der Vogel mit den Flügeln und flog in einem Feuerschwall auf Pandora zu.
    Sie zuckte leicht zusammen, als das große Tier seine Krallen um ihr schmales Handgelenk hakte und sich auf ihrem Arm niederließ – verblüffend leicht, geschmeidig und warm. Er legte die Flügel an, saß still und ließ ab und zu gefiederte Flammen aufflackern.
    Pandora musste unwillkürlich lachen. Als Mr Hardy ihr eine Ratte gab, hielt sie den pelzigen stinkenden Kadaver mit der freien Hand vor Alerions funkelnden Schnabel und sah zu, wie er die Ratte aufriss und fraß.
    Pandora spürte die starke Hitze, die durch den schützenden Handschuh hindurch ihren Unterarm ansengte, trotzdem wollte sie den Vogel nicht fliegen lassen.
    Am liebsten hätte sie diesen Augenblick für immer festgehalten, die Tränen von vorhin waren vergessen.
    »Er ist wunderschön«, sagte sie mit klopfendem Herzen.
    »Ja, das ist wahr«, sagte Mr Hardy liebevoll. »Aber jetzt, Pandora, müssen wir aufbrechen. Wir müssen einen Jungen finden.«
    Pandora schüttelte ein wenig ihren Arm, da flog der Vogel auf, schoss in den Himmel und ließ sich auf der goldenen Kugel ganz oben auf der St. Paul’s Kathedrale nieder.
    »Wie wollen wir ihn finden?«, fragte sie und zog die Handschuhe aus. Sie folgte Mr Hardy zu einer Ecke des Daches, wo eine schmale Leiter in den Lichtschacht hinunterführte, von dort kam man durch eine kleine Tür in den Glockenturm. Sie war schon geöffnet, wahrscheinlich hatte Mr Hardy es getan, als er am frühen Morgen auf der Straße gewesen war.
    Er kratzte sich die Stirn. »Ich habe nachgedacht«, sagte er. »Du sagst, dass Mr Sidereal die Stadt von seinem Observatorium hoch über dem Themseufer aus beobachtet. Ich schlage also vor, wir fangen damit an, dass wir unsererseits ihn beobachten. Wenn es nämlich so ist, wie du sagst, und er zu wissen glaubt, wo der Junge steckt, kann es eigentlich nur eine Frage der Zeit sein, bis er uns zu ihm führt.«
     

 

     

Der Schwebende Junge
    Bottle Top fand Cirrus im Raum mit den Vögeln.
    Das Haus der Wunder hatte seine Pforten für den Nachmittag geschlossen, was den Jungen vor der Abendveranstaltung ein paar Stunden kostbare Freizeit verschuf. Cirrus war allein hierhergekommen, weil er die Gesellschaft der Vögel den Rangeleien der Jungen vorzog, die sich zweifellos auch jetzt wieder auf ihren Betten balgten.
    In den Glasvitrinen rundum waren Hunderte Vögel ausgestellt: Tukane, Pfauen, Papageien, Eulen und sogar leuchtende Kolibris, die von der Decke herabhingen. Cirrus mochte ihre unterschiedlichen Formen und Größen, ihre regenbogenfarbenen Federn, und nur ihr Schweigen machte ihn nervös. Er wollte sie lieber singen und schreien hören, nicht sehen, wie sie stumm in Glasvitrinen saßen und verstaubten.
    Er stieg auf eine der Leitern, die entlang der Regale aufgestellt waren, und wischte mit einem Lappen über die Glasgefäße.
    »Was machst du?«, fragte Bottle Top und lehnte sich auf einer gepolsterten Bank zurück. An diesem Nachmittag waren nur kleine Gruppen von Besuchern durch das Museum geschlendert, aber Bottle Top hatte fast alle mit seinen Berichten über die schaurigeren Ausstellungsstücke unterhalten. Jetzt war seine Stimme heiser und belegt.
    »Mr Leechcraft hat gesagt, ich soll mich nützlich machen«, sagte Cirrus, spuckte auf ein Glas und polierte es, bis die Stelle glänzte. »Ich mache die Vitrinen sauber.«
    »Na, jetzt ist er nicht da, also brauchst du auch nicht so schwer zu arbeiten«, sagte Bottle Top, zog einen Schuh aus und massierte seine Ferse.
    Cirrus sagte nichts, sondern wischte weiter mit seinem Lappen über die Regale. Aus der Nähe konnte er erkennen, dass viele der Vögel schlecht ausgestopft und mit einer Schnur oder rostigen Nägeln an Ästen befestigt waren, die ihren natürlichen Lebensraum andeuten sollten. Bei manchen fehlten die Augen, und die Nähte fransten. »Tun dir die Vögel nicht manchmal leid?«, fragte er nach einer Weile.
    Bottle Top sah auf. »Kann nicht behaupten, dass ich viel darüber nachgedacht hätte«, sagte er.
    »Aber sie sollten in freier Natur leben«, sagte Cirrus. »Nicht eingesperrt in Glaskästen.«
    »Sie sind tot, Cirrus.«
    »Sie müssten aber nicht tot sein«, erwiderte Cirrus.

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