Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
Vom Netzwerk:
sich auf die Seite, spießt seine Masten ins Meer. Schreiende Männer fallen aus der Takelage, wo sie fieberhaft versucht haben, die zerfetzten Segel notdürftig zu reparieren.
    Felix wird über die Planken geschleudert, er kann sich gerade noch an der Reling festhalten.
    Schwerfällig, qualvoll langsam, gewinnt das Schiff sein Gleichgewicht zurück und richtet sich auf. Holz ächzt, Wasser schießt über die Seitenwand. Felix rappelt sich hoch, aus einer klaffenden Wunde auf seiner Stirn strömt das Blut. Ringsum treiben Holzteile und bewusstlose Männer in den Wellen, ihre Jacken wie Quallen um sie ausgebreitet. Die Luft ist erfüllt von den Hilferufen Ertrinkender.
    Verzweifelt kämpft sich Felix zurück zum Steuer.
    Aber da ist niemand mehr.
    James, sein ältester, sein treuester Freund, ist fort. Niemand hat das sinkende Schiff unter Kontrolle!
    Er stößt einen qualvollen Schrei aus, dann packt er – taub und starr vor Kälte und Schmerz – das Steuerrad und versucht, den Kurs zu korrigieren.
    Doch vergeblich. Mit ungezügelter Kraft stürzt das Schiff auf die Felsklippen zu. Felix sieht sich mit wilden Blicken um – die turbulente See, die gnadenlosen Wellen, das Heer der herandrängenden Wolken.
    Und jetzt hört er ein entsetzliches Geräusch: ein tiefes Grollen im Bauch des Schiffes, ein Getöse, das sich bis in die Mastspitzen fortsetzt, ein Knirschen und Splittern, als würden die Schiffsplanken auseinandergestemmt und die Nägel ausgerissen.
    Felix sieht den Hauptmast wanken und sich neigen. Bevor er noch Alarm schlagen kann, trifft ihn eine Welle voll ins Gesicht, drückt ihm Wasser in die Kehle und erstickt seinen Warnruf.
    Alles ist verloren. Der Mast ist splitternd entzweigebrochen, er kippt wie ein großer gefällter Baum über die Schiffswand und stürzt krachend ins Meer. Seile fliegen sirrend durch die Luft, und noch mehr Männer werden in den Tod gerissen.
    In weiter Ferne kann Felix erkennen, wie verzweifelte hoffnungslose Männer in einem Beiboot wütend gegen die See anrudern, aber noch während er hinsieht, werden sie von einer meterhohen Welle ergriffen und in die Luft geschleudert. Feuerblitze zucken über den Himmel, und die Wellen türmen sich weiterauf. Und immer noch geht Eisregen nieder, prasselt wie Pfeile ins Meer.
    Felix dreht sich um. Zu seiner Rechten rückt der massive Felskamm heran, seine hoch aufragenden, gezackten Kronen zerschneiden die See. Er hat keine Wahl.
    Kurz bevor das Schiff an den Felsen zerschellt, bekreuzigt er sich und springt in das eisige Wasser. Der Schock ist wie ein Hammerschlag, der ihm die Luft aus der Lunge presst. Einen Augenblick überlässt er sich willenlos der salzigen Dunkelheit der Meerestiefe, doch dann beginnt er instinktiv, sich zurück zur Oberfläche zu kämpfen.
    Schluckend, würgend, vor Kälte keuchend kommt er endlich hoch, hustet und spuckt Meerwasser aus den Lungen. Seine Augen sind trüb vom Salz, er kann gerade noch das Schiff in der Nähe erkennen. Nach einem letzten schrecklichen Aufbäumen beginnt es zu sinken und verschwindet wie der Schatten eines Riesenwals unter den Wellen.
    Bevor Felix die Unglücksstelle hinter sich lassen kann, löst sich ein Tau von dem sinkenden Schiff, schlingt sich um sein Fußgelenk und reißt ihn mit in die Tiefe. Wieder schlägt das Wasser über ihm zusammen. Erschöpft wie er ist, versucht er zwar, sich zu befreien, aber die Strömung ist zu stark und zieht ihn hinab.
    Endlich, als er meint, die Luft keine Sekunde länger anhalten zu können, beruhigt sich die See ein wenig, und er kann sich ein zweites Mal an die Oberfläche kämpfen.
    Die Wellen heben und senken ihn im Rhythmus der peitschenden See, eine wild gewordene Wiege. Eis haftet auf seiner Stirn, sein Atem gefriert in der Luft. Er versucht, sich zu orientieren, kann aber nichts erkennen außer endlos sich aufbäumende Wellen.
    Nein! Nicht weit von ihm treibt der Rumpf einer Frau – der Körper eines Engels!
    Mit letzter Kraft schwimmt er darauf zu. Es ist die Galionsfigur des Schiffes, alles, was davon übrig ist. Mit blutenden Fingern klammert er sich an das Holz, eine schläfrige Benommenheit überkommt ihn.
    Er zwingt sich, die Beine zu bewegen, Wasser zu treten, wieder Wärme und Leben in seine steifen Glieder zu pumpen. Die Kälte ist jetzt lähmend; seine Zähne schlagen aufeinander, und seine Finger haben jedes Gefühl verloren. Vor wenigen Tagen hatten sie Land gesichtet, nicht allzu weit weg von hier, aber er hat wohl keine

Weitere Kostenlose Bücher