Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab
Cirrus?«, rief sie. »Wir können ihn nicht einfach hier allein lassen! Er könnte in Schwierigkeiten stecken!«
Mr Hardys Antwort verlor sich im Wind, und Pandora fürchtete schon, er würde nicht auf sie hören, doch dann sprühte Alerion Flammen, der Korb stieg wieder und flog auf einer starken Luftströmung zurück zur Akademie.
Durch Mr Hardys Fernglas suchte Pandora die vielen Fenster nach dem Jungen ab. Aber sie konnte weiter nichts erkennen als funkelnde Kerzen und den von Blitzen zerrissenen Himmel, der sich in den Scheiben spiegelte. Donnerschläge krachten um sie herum.
Dann, als sie gerade hoch über die Akademie hinwegflogen, fiel ihr ein unsymmetrisches Fenster im Dach des Gebäudes auf. »Mr Hardy!«, rief sie und zeigte hinunter. Sie konnte schwach eine kleine Gestalt erkennen, die unweit unter dem Fenster in der Luft hing. Sie schien gefesselt zu sein. »Schauen Sie, da ist Cirrus! Ich glaube, er braucht unsere Hilfe!«
Mr Hardy beugte sich über den Korbrand und sah hinunter. »Warte, Alerion!«, sagte er, und als der Feuervogel seine Flügel faltete, sank das Mondsegelschiff wieder ab.
Diesmal wehte der Wind die Wollmütze von Pandoras Kopf und zerzauste ihr kurzes rotbraunes Haar.
Der Korb landete mit einem dumpfen Schlag auf dem Fenster und riss einen langen Sprung ins Glas, der sich wie ein Netz ausbreitete.
Plötzlich aber änderte sich die Windrichtung, und das Mondsegelschiff driftete ab.
»Mr Hardy!«, schrie Pandora, als sie höher stiegen.
Aber der Mann war darauf vorbereitet. Er griff nach dem Anker, schleuderte ihn durch die Glaskuppel in den Raum hinein, und das Fenster zersplitterte in Millionen kleiner Scherben, die knapp an dem Jungen vorbei auf den Boden regneten.
Cirrus blickte entsetzt nach oben und versuchte noch verzweifelter als vorher, sich von seinen Fesseln zu befreien.
Unkontrolliert schwang der Anker hin und her, schlitterte über den Boden, schlug in den Tisch ein und riss mehrere Stühle um.
Mr Hardy wandte sich an Pandora. »Schnell! Klettere am Seil hinunter und befestige den Anker. Dann bindest du den Jungen los, und ich ziehe euch beide herauf!«
Pandora starrte ihn ungläubig an, dann warf sie einen Blick über den Korbrand. Es war ein Höhenunterschied von sieben Metern – mindestens! Ihr Magen drehte sich um.
»Ich kann nicht«, sagte sie. »Es ist zu weit. Bitte klettern Sie.«
Mr Hardy sah an dem Mondsegel empor und schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht, Pandora, der Wind ist zu stark. Bitte! Wir haben nicht viel Zeit!«
Dunkle Wolkengebirge hatten sich aufgetürmt, und von der Themse her rissen heftige Luftströmungen an ihrem Korb. Der Himmel hatte eine unheilvolle grünlich graue Färbung angenommen.
Pandora zitterte von Kopf bis Fuß, aber Mr Hardy nahm sie fest bei den Schultern und versuchte, sie mit seinem Blick zu beruhigen.
»Du kannst es, Pandora«, sagte er entschieden. »Ich habe dich über die Heimmauer klettern sehen, vergiss das nicht!«
Sie hielt seinem Blick stand, und während sie tief Luft holte, gelang ihr ein gezwungenes Lächeln. Endlich nickte sie.
»Gut so, mein Mädchen«, sagte Mr Hardy. »Das Ankerseil ist in Abständen von dreißig Zentimetern geknotet. Klettere immer schön von einem Knoten zum nächsten.«
Er hob Pandora über den Korbrand, und sie klammerte sich mit Händen und Füßen an das Seil, das sich wie eine Schlange unter ihrem Körper wand. Langsam und vorsichtig machte sie sich an den Abstieg.
Der Wind wirbelte um sie herum, wollte sie zu Fall bringen, aber sie griff mit geschickten Händen fest um das Seil und ließ sich Knoten um Knoten hinab. Einen Blick nach unten wagte sie lieber nicht.
»Genau so, Pandora«, rief Mr Hardy, der sie von oben anleitete. »Du machst das sehr gut. Gleich bist du da.«
Sie atmete erleichtert auf, als sie durch die Lücke im Glas endlich in den vergleichsweise ruhigen sicheren Raum eintauchte. Nicht weit von ihr zappelte Cirrus in der Luft. Seine Arme waren auf den Rücken gebunden, in seinem Mund steckte ein Knebel, und sein Gesicht glänzte vor Schweiß.
»Keine Angst«, rief sie ihm zu und kletterte jetzt schneller. »Ich lasse dich gleich runter.«
Sobald es ging, sprang sie zu Boden. Sie nahm den Anker und hakte ihn unter der Tischkante fest, damit das Mondsegelschiff nicht weiter fortgeweht wurde. Dann rannte sie zum Flaschenzug in der Ecke, ließ den Jungen von der Decke herunter und entfernte den Knebel aus seinem Mund.
»Du bist das!«, rief er,
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