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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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paar Zentimeter von der Stelle, und ein lilafarbener Ärmel zwängte sich durch den entstandenen Spalt.
    Es war der Mann mit der dunklen Perücke vom Abend zuvor, der Eigentümer des Museums. Mr Leechcraft! Sie konnte bereits sein wütendes Gesicht sehen, das hinter der Tür auftauchte: eine lange raubtierartige Visage mit einem Mund voll spitzer Zähne.
    »Na warte, bis ich dich in die Finger bekomme!«, knurrte er und griff nach der Stuhllehne.
    Pandora prallte gegen den Tisch, während sie sich hektisch nach einem sicheren Versteck umsah. Bis auf einige Kamine in den eichengetäfelten Wänden gab es keine Schlupfmöglichkeiten. Der einzige Schutz, der sich ihr bot, war eine große, blank polierte, mit mehreren Glasgefäßen verbundene Kugel. Sehnsüchtig blickte Pandora zum Himmel, aber vom Mondsegelschiff war immer noch nichts zu sehen.
    Endlich, gerade als der Stuhl mit einem quietschenden Geräusch nachgab und zu Boden fiel, sah sie über dem Fenster das leuchtende Stoffsegel flattern.
    »Pandora!«, schrie Mr Hardy und warf ein zweites Mal den Anker durch die Fensteröffnung. »Häng dich dran!«
    Noch während das Seil wild hin- und herschwang, griff sie danach, und obwohl ihr Fuß schmerzhaft gegen den metallenen Ankerhaken stieß, wartete sie nicht, bis Mr Hardy sie nach oben zog, sondern fing sogleich an zu klettern.
    Hinter sich hörte sie wütendes Geschrei. Nach einem raschen Blick über die Schulter sah sie, wie der Mann mit der dunklen Perücke den Stuhl vollends zur Seite stieß und hereingestürmt kam. Verwirrt blieb er stehen, blinzelte ein-, zweimal – und sprang dann hinter ihr her.
    Pandora, die fieberhaft das Seil hochkletterte, kam schnell voran und hatte fast das Dach erreicht, als Mr Leechcraft auf den Tisch sprang, im letzten Moment die Finger um den herabhängenden Anker krallte und mit aller Kraft versuchte, ihn herunterzuziehen.
    »Was hast du mit meinem Goldjungen gemacht?«, keifte er. Schließlich konnte Mr Hardy das Seil nicht länger halten, und Pandora sank allmählich wieder tiefer.
    »Alerion!«, rief Mr Hardy über ihnen. »Hoch, mein Mädchen, höher!«
    Der große Vogel entfachte lodernde Flammen, die eine neue Hitzewelle in das Segel trieben, und das Gefährt begann erneut zu steigen.
    Cirrus, dem es gerade erst gelungen war, auf die Beine zu kommen, schaute über den Rand des schaukelnden Korbes und versuchte, Pandora von oben zu ermutigen. Sie kletterte unbeirrt und so schnell sie konnte am Seil empor. Trotzdem musste sie noch rasch einen Blick nach unten werfen.
    Der Mann am Seil ließ einfach nicht los, dann hörte sie plötzlich einen Angstschrei – und schon schwebte er ebenfalls durch das zerstörte Fenster hinaus in den Sturm.
    Unter ihnen hatten sich die anderen Akademiemitglieder versammelt und sahen mit offenen Mündern dem Mondsegelschiff nach, das jetzt schwankend den Wolken entgegenflog. Nur eine Person lief aus dem Raum – eine Frau mit kunstvoll gelocktem Silberhaar. Madame Orrery! Sie stürmte mit gerafften Röcken die Treppe hinunter.
    Das Mondsegelschiff wurde von einer warmen Luftströmung erfasst und gewann nun schnell an Höhe, aber der Korb taumelte und kippte bedenklich. Pandora sah unter sich das Dach der Akademie dahingleiten, ein Meer von schiefergrauen Ziegeln, und über ihrem Kopf hörte sie die Vertäuung unheilvoll ächzen.
    »Lass los, du Narr!«, schrie Mr Hardy dem Mann zu, der zappelnd und strampelnd unter ihnen am Seil hing und das Luftgefährt beinahe kentern ließ. »Du bringst uns alle um! So viel Gewicht können wir nicht tragen!«
    Aber der Mann hatte die Arme um die Ankerhaken geschlungen und hielt daran fest wie eine Klette.
    »Hilfe! Oh, lieber Gott, hilf mir!«, schrie er, als ihm der Wind seine schwarze Lockenperücke vom Kopf riss und an seinen Kleidern zerrte. Die Schöße seines langen lilafarbenen Gehrocks wehten wie Flügel hinter ihm her.
    Pandora klammerte sich fester an das schwankende Seil, sie war zu erschöpft zum Weiterklettern. Inzwischen hielt das Mondsegelschiff taumelnd auf den Fluss zu, schon stieg ihr der faulige Geruch des Wassers in die Nase, das sich in mehr als dreißig Meter Tiefe schäumend dahinwälzte: eine Schmutzbrühe aus Abwässern und vermoderndem Treibholz. Pandoras Hände wurden schweißnass, sie wagte nicht, nach unten zu blicken.
    Allmählich aber forderte das zusätzliche Gewicht am Mondsegelschiff seinen Tribut. Alerion wurde müde, er kam nicht mehr gegen die starken Abwärtsströmungen

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