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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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doch Mr Leechcraft bestand darauf, dass bei offenen Fenstern gefahren wurde, was ihnen einen ungehinderten Blick auf die Menschen draußen auf der Straße bot. Im Vorüberfahren grüßte Mr Leechcraft mit majestätischer Geste nach rechts und links. Sein Lächeln schien ihm auf den Lippen festgewachsen.
    Cirrus sah zu Bottle Top hin, der ihnen gegenüber saß. Zu gern hätte er mit ihm den Platz getauscht, wenn es ihm nur möglich gewesen wäre, aber Mr Leechcraft hielt ihn unnachgiebig am Ellbogen fest und ließ nicht los. Den ganzen Tag über hatte er von seinem neuen ›Goldjungen‹ gesprochen. Cirrus wand sich unglücklich auf seinem Platz, Bottle Top starrte steinern vor sich hin.
    Bald war die Fahrt vorüber. Cirrus hatte sich gerade an den Rhythmus der Kutsche gewöhnt, da fuhren sie auch schon vor einem großen Gebäude am Ufer der Themse vor. Hunderte Fenster zeigten auf einen kopfsteingepflasterten Platz hinaus, auf dem sich viele Menschen versammelt hatten. Da waren Offiziere in dunklen Wolljacken mit eleganten weißen Kragenaufschlägen und Naturphilosophen mit hohen, gelehrsam wirkenden Stirnen. Kaufleute in leuchtend bunten Seidengewändern schritten auf und ab. Offenbar hatte Mr Sidereal die halbe Stadt in die Akademie eingeladen.
    »Ah, sogar der Königliche Astronom ist da«, flüsterte Mr Leechcraft aufgeregt.
    Von Mr Sidereal war dagegen noch immer keine Spur zu sehen.
    Cirrus hatte ein flaues Gefühl im Magen, während sie sich einen Weg durch die Menge bahnten, kaum trugen ihn seine Beine über den weiten Platz. Der Himmel wurde zunehmend dunkler, auch Donnergrollen konnte er jetzt hören.
    Als sie schließlich den kühlen Marmorsaal betraten, war er erleichtert. Eine Reihe von Büsten säumte die Wände: alte ehrwürdige Herren, die ihn an den Heimvorsteher erinnerten. Für einen Augenblick sehnte er sich danach, Mr Chalfonts schwere Hände auf seinen Schultern zu spüren, das hätte ihn beruhigt, aber schon dirigierte Mr Leechcraft ihn am Ellbogen zur Treppe.
    »Micah, Daniel, Ezekiel, Job«, sagte der Philosoph zu den Jungen, die in der Ecke eine Weltkugel entdeckt hatten und sie kreisen ließen. »Ihr bleibt hier unten und begrüßt die Gäste. Es sind durchweg gebildete Herren und vertraut mit den Geheimnissen der Wissenschaft, also keinerlei Dummheiten, verstanden? Heute Abend hängt alles von euren guten Manieren ab. Unterdessen wird unser Goldjunge hier« – er tätschelte Cirrus die Schulter – »die Vorführung oben im Himmelskabinett bestreiten.«
    »Sir?«, sagte Bottle Top. »Darf ich ihm bei der Vorbereitung helfen?«
    Mr Leechcraft sah ihn überrascht an, als hätte er ganz vergessen, dass es ihn auch noch gab.
    »Ja, ja. Das wird wohl gut sein, Abraham. Geh also mit.«
    Cirrus fragte sich, ob sein Freund ihm verziehen hätte, aber Bottle Top stürmte wortlos an ihm vorüber und die Treppe hinauf. Cirrus folgte ihm und ließ sich Zeit.
    Über der Eingangshalle, die mit Gemälden und funkelnden Leuchtern ausgestattet war, sah man Balustraden über Balustraden, die sich in die Höhe schraubten. Jede Etage schien einem anderen Zweig der Naturwissenschaften zugeordnet zu sein. Hohe tickende Uhren und riesengroße metallische Kugeln füllten die schmucklosen Säle.
    Endlich kamen sie zu einer großen Flügeltür im obersten Stock: die Tür, die in das Himmelskabinett führte. In den Rahmen war ein lateinischer Spruch geschnitzt: ligatur mundus arcanis nodis. Cirrus formte die Worte lautlos mit den Lippen. Was mochten sie bedeuten?
    Inzwischen hatte Bottle Top die Tür mit der Schulter aufgestoßen und sich durch den Spalt gezwängt.
    Cirrus folgte ihm und sah sich in einem weitläufigen holzvertäfelten Raum, in dem ein langer rechteckiger Tisch stand mit hohen Stühlen darum herum. Eine gläserne Dachkuppel erlaubte einen eindrucksvollen Blick auf den allmählich sich verfinsternden Himmel. Wolken jagten darüber hin, prallten zusammen und drängten wieder auseinander wie Wellen auf stürmischer See. Cirrus meinte, auch einen Blitz zu sehen, aber schon war das Leuchten wieder verschwunden.
    »Du wirst also von dort oben kommen«, sagte Mr Leechcraft, der hinter ihnen eingetreten war. Er zeigte auf eine Schaukel unter dem Glasdach. »Und elektrisieren werde ich dich hier.« Jetzt deutete er auf einen schimmernden Geschützlauf, der durch den halben Raum ragte. Er war fast zweimal so lang wie der im Haus der Wunder und mit einer glänzenden Metallkugel verbunden. Doch anders als

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