City Crime – Vermisst in Florenz
tragen!«
Seine Mutter quiekte kurz auf und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das war ein Scherz!«
Finn verzog den Mundwinkel, Mama und ihre Scherze!
»Die Zweiten können ja nicht weg sein!«, behauptete seine Mutter.
Finn kannte das schon. Es gab Dinge, die nicht weg sein konnten und die er trotzdem schon seit Monaten suchte – wenn nicht seit Jahren. Sein Baseballcap von den New York Yankees zum Beispiel. Ein Geschenk seines besten Schulfreundes Bastian zu Finns elftem Geburtstag vor zwei Monaten: seit der Geburtstagsfeier spurlos verschwunden.
»Such deine Socken!«, befahl seine Mutter, zog den Kopf aus dem Zimmer und schloss die Tür.
»Mach ich!«, rief Finn ihr hinterher. Und widmete sich wieder seinem Computer. Er öffnete Joannas Mail und wäre fast vom Stuhl gekippt, als er sie las:
Ich brauche Deine Hilfe!
Du musst SOFORT kommen!
Chat 15 Uhr
Und: Kein Wort zu Mama!
Finn schaute auf die Uhr. 14 Uhr 30. Noch eine halbe Stunde. Er sprang auf und schimpfte: »Oh Mann, Joanna!«
Noch eine halbe Stunde. Wie sollte man eine solche Spannung aushalten? Wieso sagte sie nicht gleich, was los war? Das war ja mal wieder typisch, fand er. Die beiden verstanden sich zwar prächtig, aber es gab Situationen, da brachte sie ihn schlicht auf die Palme. Dies war so eine. Wieso sollte er warten?
Finn überlegte, was seiner Schwester passiert sein konnte. Warum war es ihr nicht möglich, jetzt zu chatten, sondern erst in einer halben Stunde? Außerdem: Was war mit Papa? Der hatte sein Atelier doch in der Wohnung und war mehr oder weniger immer zu Hause. Wieso fragte Joanna nicht ihn um Hilfe?
Oh Mann, was war da los? »SOFORT kommen?« Was meinte Joanna damit und wie stellte sie sich das vor? In einer Woche kam er doch sowieso. Und wie sollte er ihr helfen? Wobei? Finn warf einen weiteren Blick auf die Uhr: 14 Uhr 31. Na toll! Die Zeit verging nicht.
Erneut kam seine Mutter zur Tür herein. Finn schloss blitzartig das Mailprogramm. Was immer Joanna wollte, sie hielt es für besser, dass Mama zunächst nichts davon erfuhr.
»Und?«, fragte seine Mutter.
»Nicht gefunden!«, antwortete Finn, was ja nicht geschwindelt war. Schließlich hatte er auch gar nicht gesucht.
Seine Mutter presste die Lippen zusammen und zog die oberste Schublade seiner Kommode auf, in die eigentlich die Socken hineingehörten.
»Das darf ja wohl nicht wahr sein!«, schimpfte sie. »Die ist ja voll mit schmutzigem Sportzeug!« Mit spitzen Fingern zog sie ein schlammverkrustetes Fußball-Trikot aus der Schublade.
»Gestern beim Spiel hat’s geregnet«, erklärte Finn.
»Ach, und jetzt fault das nasse Shirt hier fröhlich vor sich hin, oder wie?« Sie ließ das Trikot zurück in die Schublade fallen. »Ausräumen und alles in die Waschmaschine.«
»Ja.«
»Sofort!«
»Ja!«
»JETZT!«
»Jaha!« Finn erhob sich von seinem Schreibtischstuhl, während er auf die Uhr des Bildschirms linste: 14 Uhr 36. Plötzlich hatte die Zeit begonnen zu rasen.
Er schaufelte mit den Händen den gesamten Inhalt aus der Schublade heraus, warf ihn auf den Boden und begann zu sortieren. Seine Mutter blieb hinter ihm stehen und sah ihm dabei zu, was Finn ärgerte. Er hockte sich auf den Boden vor den Wäschehaufen. Links neben sich warf er die schmutzigen Sportsachen, rechts die sauberen Unterhosen, Socken und Shirts.
»Finn!«, mahnte seine Mutter.
»Was?«, fragte er, obwohl er die Antwort kannte. Vom Boden aus konnte er seinen Wecker sehen, der neben dem Bett stand: 14 Uhr 43. Seine Nervosität stieg.
»Willst du die blauen Shirts nicht nach Florenz mitnehmen?«, fragte seine Mutter. »Das sind doch deine Lieblingsshirts.«
»Ja!«
»Na, dann pack sie gleich in den Rucksack!«
»Oh Mann!«, wiederholte Finn. »Nicht jetzt!«
»Wann denn sonst? Nachher wirst du wieder nicht rechtzeitig fertig und vergisst die Hälfte. Du weißt doch …«
Weiter kam sie zum Glück nicht, weil das Telefon klingelte. Seine Mutter verließ das Zimmer. Finn dankte dem Himmel für diesen Anruf. Er griff sich den gesamten Haufen schmutziger Wäsche, schleppte ihn, so schnell er konnte, in die Küche, warf alles in die Waschmaschine, raste zurück in sein Zimmer, packte den auf dem Boden liegenden Haufen mit der sauberen Wäsche und stopfte alles in den Rucksack. Der Boden war frei, keine Wäsche mehr zu sehen. Seine Mutter hatte keinen Grund mehr, über irgendetwas zu meckern.
Dann schaute er kurz in den Flur und horchte. Seine Mutter saß mittlerweile im
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