City of Lost Souls
gegen die Wand geschlagen, doch sie zwang sich, Ruhe zu bewahren und die verbliebenen Möglichkeiten durchzugehen. Sebastian und Jace vertrauten ihr allmählich; wenn es ihr gelang, sich in einer belebten Straße kurz davonzuschleichen, könnte sie Simon von einer Telefonzelle aus anrufen. Oder sie könnte schnell in ein Internet-Café springen und ihm eine E-Mail schicken. Schließlich kannte sie sich mit den modernen Telekommunikationsmitteln der Irdischen wesentlich besser aus als Jace und Sebastian. Der Verlust des Rings bedeutete jedenfalls nicht, dass jetzt alles aus war.
Sie würde nicht aufgeben!
Ihre Gedanken kreisten so konzentriert um das, was sie als Nächstes tun musste, dass sie Sebastian im ersten Moment gar nicht bemerkte. Glücklicherweise hatte er ihr den Rücken zugekehrt. Er stand im Wohnzimmer und schaute auf eine Wand.
Einen Augenblick blieb Clary wie erstarrt auf der untersten Treppenstufe stehen, dann flitzte sie los und drückte sich an die halbhohe Theke, die die Küche vom Wohnbereich trennte. Es bestand nicht der geringste Grund zur Panik, ermahnte sie sich. Schließlich wohnte sie hier. Falls Sebastian sie entdeckte, konnte sie behaupten, sie sei nach unten gekommen, um sich ein Glas Wasser zu holen.
Aber die Versuchung, ihn unbemerkt zu beobachten, war einfach zu groß. Vorsichtig drehte Clary sich zur Seite und spähte um die Küchentheke herum.
Sebastian stand noch immer mit dem Rücken zu ihr. Nach der Rückkehr aus dem Nachtclub hatte er sich offenbar umgezogen. Der alte Armeemantel war verschwunden. Stattdessen trug er Jeans und ein Hemd, das leicht hochgerutscht war und den Blick auf den Waffengürtel freigab, den er sich um die Hüften geschnallt hatte. Als Sebastian den rechten Arm hob, konnte Clary die Stele in seiner Hand sehen … und irgendetwas an der Art und Weise, wie er sie hielt, mit einer tiefen Nachdenklichkeit, erinnerte sie daran, wie ihre Mutter immer den Malpinsel gehalten hatte.
Bestürzt schloss Clary die Augen. Als sie an Sebastian etwas wiedererkannte, das Assoziationen an ihre Mutter oder sie selbst weckte, fühlte sie einen Ruck durch ihr Herz gehen – wie ein Stück Stoff, das an einem Haken hängen blieb und zerriss. Das erinnerte sie daran, dass es ganz egal war, wie viel Gift durch seinen Körper zirkulierte – das Blut in seinen Adern war dasselbe, das auch durch ihre Adern floss. Clary öffnete die Augen, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie sich vor Sebastian eine Tür in der Mauer bildete. Er schnappte sich einen Schal von einem Haken an der Wand und ging hinaus in die Dunkelheit.
Clary musste sich im Bruchteil einer Sekunde entscheiden: Sollte sie bleiben und die Wohnung nach dem Ring durchsuchen? Oder sollte sie Sebastian folgen und herausfinden, wohin er ging? Ihre Füße waren schneller als ihre Gedanken. Blitzschnell löste sie sich von der Theke und stürmte durch die dunkle Maueröffnung, kurz bevor sich die Tür hinter ihr wieder schloss.
Der Raum, in dem Luke lag, wurde nur vom Schein der Straßenlaterne erhellt, der durch die halb geschlossenen Jalousien fiel. Jocelyn wusste, dass sie um eine Lampe hätte bitten können, doch sie saß lieber im Dunkeln. Denn die Dunkelheit kaschierte das Ausmaß von Lukes Verletzungen, die Totenblässe auf seinem Gesicht und die tiefen Schatten unter seinen Augen.
Genau genommen, besaß er im dämmrigen Licht große Ähnlichkeit mit dem Jungen, den sie noch aus der Zeit in Idris kannte, bevor Valentin seinen Kreis gegründet hatte. Jocelyn erinnerte sich daran, wie er auf dem Schulhof ausgesehen hatte: dürr, braune Haare, blaue Augen und nervöse Hände. Luke war Valentins bester Freund gewesen und aus diesem Grund hatte ihm kaum jemand Beachtung geschenkt. Sie selbst übrigens auch nicht, überlegte Jocelyn, denn sonst hätte sie nicht so blind sein und völlig übersehen können, was er für sie empfand.
Unwillkürlich kehrten ihre Gedanken zum Tag ihrer Hochzeit mit Valentin zurück; die Sonne hatte hell durch das Glasdach über der Halle des Abkommens gestrahlt. Damals war sie achtzehn gewesen und Valentin neunzehn. Sie wusste noch genau, wie unglücklich ihre Eltern darüber gewesen waren, dass sie so früh heiraten wollte. Doch ihre Missbilligung hatte sie nicht interessiert – ihre Eltern verstanden sie einfach nicht. Jocelyn war sich so sicher gewesen, dass es für sie in ihrem ganzen Leben niemand anderen geben würde als Valentin.
Luke war sein Trauzeuge gewesen. Sie erinnerte
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