City of Lost Souls
Kompromiss gegen die Kissen und holte kurzatmig Luft.
Jocelyn hastete zum Nachttisch, schenkte ein Glas Wasser ein und drückte es ihm in die Hand. »Trink das«, sagte sie. »Bitte.«
Luke nahm das Glas und seine blauen Augen folgten ihr, während sie sich wieder in den Sessel neben dem Bett setzte. In den letzten Tagen hatte sie so viele Stunden darin verbracht, dass es sie wunderte, nicht mit der Polsterung verwachsen zu sein.
»Weißt du, woran ich eben denken musste?«, fragte sie. »Kurz bevor du aufgewacht bist?«
Vorsichtig trank Luke einen Schluck Wasser. »Du hast ausgesehen, als ob du in Gedanken sehr weit weg gewesen wärst.«
»Ich hab mich an den Tag erinnert, an dem ich Valentin geheiratet habe.«
Luke ließ das Glas sinken. »Der schlimmste Tag meines Lebens.«
»Schlimmer als der Tag, an dem du gebissen wurdest?«, hakte Jocelyn nach, zog ihre Beine hoch und setzte sich darauf.
»Schlimmer.«
»Das habe ich nicht gewusst«, sagte sie. »Ich ahnte doch nicht, was du für mich empfindest. Aber ich wünschte, ich hätte es gewusst. Dann wäre jetzt alles anders.«
Ungläubig sah Luke sie an. »Wieso?«
»Dann hätte ich Valentin nicht geheiratet«, sagte Jocelyn. »Ich hätte ihn nicht geheiratet, wenn ich es gewusst hätte.«
»Doch, das hättest du … «
»Nein, das hätte ich nicht«, unterbrach sie ihn scharf. »Ich war zu dumm, um zu begreifen, was du empfindest; aber ich war auch zu dumm, um mir über meine eigenen Gefühle im Klaren zu sein. Ich habe dich immer geliebt. Auch wenn es mir damals nicht bewusst war.« Jocelyn beugte sich vor und küsste ihn behutsam, um ihm nicht wehzutun; dann legte sie ihre Wange gegen Lukes. »Versprich mir, dass du dich nicht in Gefahr bringen wirst. Versprich es mir«, bat sie und spürte, wie er seine Hand auf ihre Haare legte.
»Ich verspreche es.«
Halbwegs erleichtert lehnte sie sich zurück. »Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Und alles in Ordnung bringen. Den richtigen Mann heiraten.«
»Aber dann hätten wir Clary jetzt nicht«, erinnerte Luke sie.
Jocelyn liebte die Art und Weise, wie er »wir« sagte – so beiläufig, als gäbe es keinen Zweifel, dass Clary seine Tochter war. »Wenn du doch nur schon da gewesen wärst, als sie noch klein war … «, seufzte Jocelyn. »Ich hab einfach das Gefühl, dass ich alles falsch gemacht habe. All die Jahre war ich so versessen darauf, sie zu beschützen, dass ich es wahrscheinlich übertrieben habe. Clary stürzt sich kopfüber in jede Gefahr, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. Als wir beide aufgewachsen sind, haben wir hautnah miterlebt, wie unsere Freunde im Kampf ums Leben kamen. So etwas hat Clary nie erfahren müssen und ich würde ihr das auch nicht wünschen. Aber manchmal mach ich mir Sorgen, dass sie glaubt, gar nicht sterben zu können.«
»Jocelyn.« Lukes Stimme klang sanft. »Du hast Clary zu einem guten Menschen erzogen. Zu einer Person mit Werten, zu jemandem, der an das Gute und das Böse glaubt und danach strebt, selbst Gutes zu tun – genau wie du. Man kann ein Kind nicht dazu erziehen, an etwas anderes zu glauben als das, an das man selbst glaubt. Ich bin mir sicher, dass Clary ganz genau weiß, dass sie sterben kann. Und ich bin außerdem sicher, dass sie – genau wie du – davon überzeugt ist, dass es Dinge gibt, für die es sich zu sterben lohnt.«
Clary folgte Sebastian durch ein Labyrinth enger Gassen, wobei sie sich immer dicht im Schatten der Gebäude hielt. Sie befanden sich nicht mehr in Prag – so viel stand fest. Die Straßen waren dunkel, die Morgendämmerung tauchte den Himmel in ein mattes Blau und die Schilder über den Geschäften und Ladenfronten, an denen sie vorbeikamen, waren alle auf Französisch – genau wie die Straßenschilder: Rue Jacob, Rue de Seine, Rue de l’Abbaye.
Während sie durch die Stadt schlich, strichen die Menschen wie Gespenster an ihr vorbei. Gelegentlich rumpelte ein Wagen durch die Gassen oder ein Laster setzte quietschend rückwärts in eine Einfahrt, um das angrenzende Geschäft mit frischen Waren zu beliefern. Die Luft roch nach Flusswasser und Abfall. Clary hatte bereits eine ziemlich klare Vorstellung, in welcher Stadt sie sich befanden, das wurde bestätigt, als sie um eine Ecke bogen und durch eine Gasse zu einer breiten Allee gelangten, an der ein Wegweiser aus dem dämmrigen Morgendunst auftauchte. Pfeile zeigten in verschiedene Richtungen: Bastille, Notre Dame und Quartier Latin .
Paris,
Weitere Kostenlose Bücher