City of Lost Souls
konnte kaum glauben, was sie gleich tun würde, aber vor ihrem inneren Auge sah sie die Leichenhalle der Stillen Stadt und die Leichname von Schattenjägern, lang ausgestreckt auf den Marmortischen. Die Vorstellung, dass Jace dazugehören würde, konnte sie einfach nicht ertragen. Alles, was sie getan hatte – überhaupt hierherzukommen und all die Dinge zu erdulden – , diente nur einem einzigen Zweck: Jace’ Leben zu retten. Und sie hatte das alles nicht nur für sich selbst getan: Ihre Gedanken wanderten zu Alec und Isabelle, die ihr geholfen hatten, und zu Maryse, die Jace liebte. Im nächsten Moment hob Clary die Stimme und rief laut: »Jonathan! Jonathan Christopher Morgenstern!«
Jace starrte sie aus großen Augen ungläubig an. »Clary … «, setzte er an, aber es war bereits zu spät.
Clary hatte seine Handgelenke losgelassen und trat einen Schritt zurück. Sebastian würde jeden Moment hier sein – sie hatte nicht einmal mehr Zeit, Jace zu erklären, dass sie ihren Bruder nicht deshalb gerufen hatte, weil sie ihm plötzlich vertraute, sondern weil er das einzige Mittel war, mit dem sie Jace zum Bleiben zwingen konnte.
Einen Sekundenbruchteil später schnellte jemand durch den Raum und Sebastian war zur Stelle. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Treppe zu nehmen, sondern war stattdessen über die Brüstung gesprungen und zwischen Clary und Jace gelandet. Seine Haare waren vom Schlaf zerzaust und er trug ein dunkles T-Shirt und eine schwarze Hose. Einen kurzen Moment fragte Clary sich, ob er wohl in seinen Alltags-Klamotten schlief. Sebastian schaute von Clary zu Jace und wieder zurück, während seine schwarzen Augen die Situation erfassten. »Ärger im Paradies?«, fragte er. Irgendetwas glitzerte in seiner Hand. Ein Messer?
Clarys Stimme zitterte, als sie erwiderte: »Sein Runenmal ist beschädigt. Dieses hier.« Sie legte eine Hand auf ihr eigenes Herz. »Er will fliehen, sich dem Rat stellen … «
Blitzschnell schoss Sebastians Hand vor; er schubste den Kelch auf der Küchentheke außer Reichweite. Jace, der vor Schock noch immer kreidebleich war, stand nur da und rührte sich nicht von der Stelle, als Sebastian näher trat, ihn am Kragen packte und sein Hemd aufriss. Die Knöpfe sprangen auf und gaben den Blick auf sein Schlüsselbein frei. Mit einer raschen Bewegung ritzte Sebastian eine Heilrune tief in die Haut. Jace biss sich auf die Lippe und starrte Sebastian hasserfüllt an, als dieser ihn freigab und einen Schritt zurücktrat, die Stele noch immer in der Hand. »Also wirklich, Jace!«, spottete Sebastian. »Das haut mich echt um! Hast du wirklich gedacht, du könntest mit so was davonkommen?«
Jace’ Hände ballten sich zu Fäusten, während die kohlschwarze Iratze langsam in seine Haut sickerte. Mühsam stieß er hervor: »Wenn du das nächste Mal möchtest … dass dich was umhaut … dann helf ich dir gern. Vielleicht mit einem Ziegelstein.«
Missbilligend schnalzte Sebastian mit der Zunge. »Du wirst mir später dafür danken. Selbst du musst doch zugeben, dass deine Todessehnsucht ein wenig übertrieben ist.«
Clary erwartete, dass Jace ihn erneut anfauchen würde. Doch das tat er nicht. Stattdessen ließ er seinen Blick langsam über Sebastians Gesicht gleiten. In diesem Moment gab es nur ihn und Sebastian im Raum. »Ich werde mich zwar an das hier nicht mehr erinnern«, verkündete er mit klarer, eisiger Stimme, »aber du wirst dich daran erinnern. Deswegen lass dir eines gesagt sein: Dieser Kerl, der so tut, als sei er dein Freund … « Er trat einen Schritt vor und verkürzte damit den Abstand zwischen Sebastian und ihm. »Dieser Kerl, der so tut, als würde er dich mögen … dieser Kerl existiert nicht. Er ist nicht real. Das hier ist real. Das hier ist mein wahres Ich. Und ich hasse dich. Ich werde dich immer hassen. Und weder in dieser noch in irgendeiner anderen Welt gibt es eine Magie oder eine Beschwörungsformel, die jemals etwas daran ändern wird.«
Einen Moment lang schien Sebastian das Grinsen auf dem Gesicht zu erstarren. Jace dagegen löste ungerührt seinen Blick von Sebastian und schaute Clary an: »Ich will, dass du die Wahrheit erfährst. Ich hab dir nicht alles gesagt.«
»Die Wahrheit ist gefährlich«, warf Sebastian ein, der die Stele wie ein Messer in der Hand hielt. »Sei vorsichtig mit dem, was du sagst.«
Jace zuckte zusammen. Seine Brust hob und senkte sich stoßweise; es war ihm anzusehen, dass das Verheilen der Rune auf seiner
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