City of Lost Souls
Abscheu keine echten Gefühle gezeigt hatte, knurrte – knurrte und zog einen langen, dünnen Dolch aus seinem Gürtel. Bestürzt riss Luke die Augen auf und versuchte, sich wegzudrehen, doch Sebastian war schneller als er … schneller als jeder andere, den Clary jemals gesehen hatte. Schneller als Jace. Er rammte Luke den Dolch tief in die Brust, drehte ihn herum und zog ihn mit einem Ruck wieder heraus. Die Klinge war bis zum Heft blutrot. Während Clary starr vor Entsetzen zusah, taumelte Luke rückwärts gegen die Wand, rutschte daran herunter und hinterließ dabei eine breite Blutspur.
In dem Moment schrie Jocelyn auf. Das Geräusch war schlimmer als der Knall der Kugeln, die das Fenster zertrümmert hatten, obwohl Clary alles nur wie aus weiter Ferne oder unter Wasser zu hören schien. Wie angewurzelt stand sie da und blickte auf Luke hinab, der auf dem Boden zusammengebrochen war, wo sich der Teppich um ihn herum mehr und mehr blutrot verfärbte.
Erneut hob Sebastian den Dolch – und dieses Mal stürzte Clary sich auf ihn, rammte ihn, so fest sie konnte, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Doch obwohl sie ihn kaum von der Stelle bewegte, ließ er die Waffe fallen und wandte sich ihr zu. Seine Unterlippe war aufgeplatzt und blutete. Clary hatte keine Ahnung, wieso – bis Jace in ihr Blickfeld kam und sie das Blut an seinem Mund sah, dort, wo Lukes Faust ihn getroffen hatte.
»Das reicht!«, fauchte Jace, packte Sebastian an seiner Jacke und hielt ihn fest. Er war blass im Gesicht, mied jeden Blick in Lukes oder Clarys Richtung. »Hör auf! Deswegen sind wir nicht hierhergekommen.«
»Lass mich los … «
»Nein.« Jace beugte sich vor und schnappte sich Sebastians Hand. Sein Blick kreuzte sich kurz mit Clarys, seine Lippen formten Worte und dann blitzte etwas silbern auf – der Ring an Sebastians Finger. Eine Sekunde später waren beide fort, verschwunden zwischen zwei Atemzügen – und im selben Augenblick flog etwas metallisch Glitzerndes durch die Luft und bohrte sich dort in die Wand, wo die beiden gerade noch gestanden hatten.
Lukes Kindjal.
Clary wirbelte zu ihrer Mutter herum, die den Dolch geworfen hatte. Doch Jocelyn hastete bereits zu Luke, kniete sich neben ihn auf den blutgetränkten Teppich und zog ihn auf ihren Schoß. Luke hatte die Augen geschlossen; Blut sickerte aus seinem Mundwinkel. Sebastians blutbeschmierter Dolch lag nur wenige Schritte entfernt.
»Mom«, wisperte Clary. »Ist er … «
»Der Dolch war aus Silber«, stieß Jocelyn mit zittriger Stimme hervor. »Luke wird nicht so schnell heilen können wie sonst … nicht so schnell, wie er müsste … jedenfalls nicht ohne besondere Behandlung.« Behutsam berührte sie sein Gesicht mit den Fingerspitzen.
Erleichtert stellte Clary fest, dass sich Lukes Brust, wenn auch sehr flach, langsam hob und senkte. Sie konnte spüren, wie ihr heiße Tränen in die Augen schossen, und war einen Moment lang verwundert, wie ruhig ihre Mutter blieb. Andererseits war Jocelyn dieselbe Frau, die einst vor den Ruinen ihres Elternhaus gestanden hatte, umgeben von der Asche und den verkohlten Überresten ihrer Familie, darunter ihre Eltern und ihr Sohn, und die trotzdem ihr Leben wieder aufgenommen hatte.
»Hol mir ein paar Handtücher aus dem Bad«, befahl sie. »Wir müssen die Blutung stoppen.«
Clary rappelte sich auf und taumelte fast blind in Lukes kleines, gefliestes Bad. Hinter der Tür hing ein graues Handtuch am Haken. Clary zerrte ungeduldig daran und brachte es ins Wohnzimmer. Jocelyn hielt Luke mit einer Hand auf ihrem Schoß, während sie mit dem Mobiltelefon in der anderen Hand telefonierte und gerade das Gespräch beendete. Hastig ließ sie das Handy fallen und griff nach dem Handtuch, das Clary ihr reichte. Sie faltete es zusammen und presste es fest auf die Wunde in Lukes Brust.
Entsetzt beobachtete Clary, wie sich das Gewebe des grauen Handtuchs mit Blut vollsog und scharlachrot verfärbte. »Luke«, wisperte sie. Doch er regte sich nicht. Sein Gesicht war inzwischen aschgrau.
»Ich habe gerade sein Rudel angerufen«, sagte Jocelyn, ohne ihre Tochter dabei anzusehen. Und Clary wurde bewusst, dass ihre Mutter bisher keine einzige Frage zu Jace und Sebastian gestellt hatte – oder wieso sie und Jace zusammen hergestürmt waren. Jocelyns einzige Sorge galt momentan Luke. »Ein paar der Rudelmitglieder sind in der Nähe auf Patrouille. Sobald sie hier sind, brechen wir auf. Jace wird auf jeden Fall zurückkommen, um
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