City of Lost Souls
nächsten Moment schaute Sebastian auf, als hätte er ihren Blick gespürt. »Wein?«, fragte er und hob die Flasche.
Clary nickte, obwohl sie den Geschmack von Wein eigentlich noch nie gemocht hatte und seit dem Abend in Renwicks Ruine regelrecht hasste. Sie räusperte sich, während Sebastian ihr Glas füllte, und meinte: »Also … diese Wohnung hier … ist das deine?«
»Sie hat unserem Vater gehört«, erklärte Sebastian und stellte die Flasche ab. »Und sie bewegt sich … von einer Welt in die andere … zwischen unserer und anderen hin und her. Valentin hat sie sowohl als Rückzugsort wie auch als Transportmittel genutzt. Er hat mich ein paarmal mit hierhergenommen und mir gezeigt, wie man hinein- und hinauskommt und wie man damit reist.«
»Die Wohnung hat keine Eingangstür.«
»Doch – wenn man weiß, wo sie ist«, entgegnete Sebastian. »Dad hatte sich ein paar nette Tricks einfallen lassen.«
Clary warf Jace einen Blick zu, doch der schüttelte nur den Kopf: »Mir hat er diese Wohnung nie gezeigt. Ich wusste nicht einmal, dass sie überhaupt existierte.«
»Das Ganze erinnert mich an ein … typisches Junggesellendomizil«, sagte Clary. »Ich hätte nicht gedacht, dass Valentin … «
»Einen Flachbildfernseher besitzt?«, ergänzte Jace grinsend. »Das Gerät empfängt zwar keine TV-Sender, aber man kann damit DVDs abspielen. Und während wir in unserem Landhaus nur einen alten Eisschrank hatten, der mit Elbenlicht betrieben wurde, hat Valentin hier eine ultramoderne Kühl-Gefrier-Kombination einbauen lassen.«
»Die war für Jocelyn«, warf Sebastian ein.
Verwundert schaute Clary auf. »Ach ja?«
»All diese modernen Sachen. Die Geräte. Und die Klamotten. Zum Beispiel die Bluse, die du trägst. Sie waren für unsere Mutter gedacht. Für den Fall, dass sie sich entschließen würde zurückzukehren.« Sebastian schaute sie aus seinen dunklen Augen an.
Plötzlich wurde Clary leicht übel. Das hier ist mein Bruder und wir reden über unsere Eltern, dachte sie mit einem Anfall von Schwindelgefühl. Das Ganze war einfach zu viel und ging zu schnell, um es in so kurzer Zeit verarbeiten zu können. Bisher hatte sie keine Gelegenheit gehabt, sich Sebastian als ihren lebenden, atmenden Bruder vorzustellen. Als sie herausgefunden hatte, wer er wirklich war, da war er bereits tot gewesen.
»Tut mir leid, wenn das für dich irgendwie merkwürdig ist«, meinte Jace entschuldigend und zeigte auf die Bluse. »Wenn du willst, können wir dir andere Sachen kaufen.«
Vorsichtig berührte Clary den Ärmel. Der feine Stoff fühlte sich seidig, teuer an. Tja, das erklärte dann ja wohl, wieso die Kleidungsstücke in ihrer Größe waren und in Farben, die ihr besonders gut standen. Weil sie genau wie ihre Mutter aussah. Clary holte tief Luft. »Ist schon okay«, erwiderte sie. »Aber … was macht ihr eigentlich die ganze Zeit? Einfach nur mit dieser Wohnung herumreisen und … «
»Die Welt sehen?«, ergänzte Jace leichthin. »Es gibt Schlimmeres.«
»Aber das könnt ihr doch nicht bis in alle Ewigkeit machen.«
Sebastian, der bisher kaum etwas gegessen, aber bereits zwei Gläser Wein getrunken hatte, nippte an seinem dritten Glas. Seine Augen funkelten. »Warum nicht?«
»Na ja, weil … weil der Rat euch beide sucht und ihr nicht für immer und ewig davonlaufen und euch irgendwo verstecken könnt … « Clary verstummte, als sie den Blick auffing, den die beiden Jungen miteinander tauschten – einen Blick, den zwei Vertraute wechselten, die ein gemeinsames Geheimnis hatten. Ein Blick, den Jace vor langer Zeit das letzte Mal mit jemand anderem in ihrer Gegenwart getauscht hatte.
»Ist das eine Frage oder eine Feststellung?«, erkundigte sich Sebastian leise und gedehnt.
»Sie hat ein Recht darauf, unsere Pläne zu erfahren«, warf Jace ein. »Sie ist mit hierhergekommen, in dem Wissen, dass sie nicht zurückkann.«
»Das ist nur ein Vertrauensvorschuss«, erwiderte Sebastian und fuhr mit dem Finger über den Rand des Weinglases – eine Geste, die Clary auch bei Valentin beobachtet hatte. »Sie vertraut dir. Weil sie dich liebt. Nur deshalb ist sie hier. Oder etwa nicht?«
»Und was, wenn es so wäre?«, konterte Clary. Vermutlich konnte sie versuchen, irgendeinen anderen Grund zu erfinden, aber Sebastians dunkle Augen musterten sie scharf und sie bezweifelte, dass er ihr glauben würde. »Ich vertraue Jace.«
»Aber mir nicht«, sagte Sebastian.
Clary wählte ihre nächsten Worte mit
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