City of Lost Souls
äußerster Vorsicht: »Wenn Jace dir vertraut, dann will auch ich dir vertrauen. Außerdem bist du mein Bruder. Das zählt schließlich auch.« Die Lüge hinterließ einen bitteren Geschmack in ihrem Mund. »Aber ich kenne dich eben kaum.«
»Dann sollten wir vielleicht ein wenig Zeit miteinander verbringen, damit du mich besser kennenlernst«, meinte Sebastian. »Und dann weihen wir dich in unsere Pläne ein.«
Dann weihen wir dich ein. In unsere Pläne. In Sebastians Vorstellung gab es nur ihn und Jace – aber nicht Jace und Clary.
»Mir gefällt es nicht, sie im Unklaren zu lassen«, protestierte Jace.
»Wir verraten es ihr in einer Woche. Welchen Unterschied macht schon eine Woche?«
Jace warf ihm einen Blick zu. »Vor zwei Wochen warst du noch tot.«
»Na ja, ich habe ja auch nicht zwei Wochen vorgeschlagen«, räumte Sebastian ein. »Das wäre schließlich total irrsinnig.«
Ein zufriedenes Lächeln umspielte Jace’ Mundwinkel und er schaute Clary fragend an.
»Ich bin bereit zu warten, bis ihr mir vertraut«, verkündete sie. Sie wusste, das war die richtige Antwort, auch wenn sie sie hasste. »Ganz gleich, wie lange das dauern wird.«
»Eine Woche«, sagte Jace.
»Eine Woche«, bestätigte Sebastian. »Und ich will, dass sie hier in der Wohnung bleibt. Kein Kontakt zu niemandem. Keine Ausflüge auf eigene Faust.«
Jace lehnte sich zurück. »Was ist, wenn ich dabei bin?«
Sebastian warf ihm unter seinen langen Wimpern einen abschätzenden Blick zu. Er überlegte, wie viel er Jace erlauben durfte, staunte Clary. Wie lang er die Leine lassen sollte, an der er seinen »Bruder« führte. »Okay«, sagte er schließlich herablassend, »solange du bei ihr bist.«
Stumm schaute Clary auf ihr Weinglas. Sie hörte, wie Jace eine Antwort murmelte, konnte ihn dabei aber nicht ansehen. Die Vorstellung, dass jemand anderes Jace eine Erlaubnis erteilte – Jace, der immer nur getan hatte, was er wollte – , diese Vorstellung bereitete ihr Übelkeit. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte Sebastian die Weinflasche über den Schädel gezogen, doch sie wusste, dass das nicht ging. Verletzt man den einen, wird der andere bluten.
»Wie schmeckt der Wein?«, fragte Sebastian mit einem spöttischen Unterton in der Stimme.
Clary leerte das Glas in einem Zug und verschluckte sich fast an dem bitteren Geschmack. »Hervorragend.«
Isabelle fand sich in einer fremdartigen Landschaft wieder – eine ausgedehnte dunkelgrüne Ebene unter einem tief hängenden grauschwarzen Wolkenhimmel. Die junge Schattenjägerin zog ihre Kapuze hoch und schaute sich fasziniert um. Nie zuvor hatte Isabelle einen derart weiten Himmel gesehen. Dasselbe galt für die gewaltige offene Landschaft vor ihr, die wie ein Smaragd moosgrün schimmerte. Als sie einen Schritt machte, erkannte sie, dass es sich tatsächlich um Moos handelte: Es wuchs neben und auf den schwarzen Felsbrocken, die über die anthrazitfarbene Erde verteilt waren.
»Das ist eine Vulkanebene«, erklärte Jocelyn. Sie stand neben Isabelle und der Wind löste mehrere rotgoldene Strähnen aus ihrem sorgfältig festgesteckten Haarknoten. In diesem Moment sah sie Clary so ähnlich, dass es Isabelle schon fast unheimlich war. »Das waren früher mal Lavafelder. Vermutlich zeichnet sich die gesamte Region durch vulkanische Aktivität aus. Bei der Arbeit mit Adamant benötigen die Schwestern für ihre Schmieden unvorstellbar hohe Temperaturen.«
»Man sollte meinen, dass es hier dann etwas wärmer wäre«, murmelte Isabelle.
Jocelyn warf ihr einen amüsierten Blick zu, setzte sich in Bewegung und schlug scheinbar willkürlich eine Richtung ein. »Manchmal bist du deiner Mutter unglaublich ähnlich, das überrascht mich immer wieder, Isabelle«, bemerkte sie.
»Ich betrachte das als ein Kompliment«, erwiderte Isabelle mit leicht zusammengekniffenen Augen – niemand beleidigte ihre Familie!
»Das war auch nicht als Beleidigung gedacht.«
Während Isabelle Clarys Mutter folgte, hielt sie den Blick auf den Horizont gerichtet, wo sich der dunkle Himmel mit dem smaragdgrünen Boden traf. »Wie gut hast du meine Eltern gekannt?«, fragte sie.
Verwundert warf Jocelyn ihr einen Blick zu. »Ziemlich gut, als wir alle noch in Idris lebten. Aber ich habe sie jahrelang nicht gesehen. Bis jetzt.«
»Wart ihr schon befreundet, als sie geheiratet haben?«
Der Weg, den Jocelyn eingeschlagen hatte, führte einen steilen Hang hinauf, daher kam ihre Antwort ein wenig atemlos:
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