Clancy, Tom
langen
blutigen Kolonial- und Bürgerkrieg verloren gegangen war, aus dem sich die
Französische Republik eher zurückgezogen hatte, als dass sie ihn verloren hätte.
Algerien hatte dann nicht gerade floriert, also hatten die Araber Millionen
seiner Bürger nach Europa exportiert, wo sie nicht unbedingt willkommen waren,
besonders seit sie in den Neunzigerjahren ihre islamische Identität entdeckt
hatten, und das in einem Land, das sich immer noch für einen Schmelztiegel
hielt. Sprich die Sprache (oder sprich wenigstens die Wörter richtig aus),
übernimm die Gebräuche, und schon warst du Franzose, und den anderen Franzosen
war deine Hautfarbe ziemlich egal. Frankreich war zwar nominell katholisch,
aber auch nicht gerade eine Nation von Kirchgängern. Der Islam hatte all das
verändert. Früher hatte es zwar Kriege gegen die Muslime gegeben — vielleicht
erinnerte man sich wieder an den Sieg Karl Martells 732 in der Schlacht bei
Tours und Poitiers -, aber hauptsächlich störten sich die Franzosen daran,
dass es muslimische Migranten gab, die ihre Kultur ablehnten, deren Kleidungs-
und Lebensstil nicht zu dem der weinseligen Bonvivants passte und die praktisch
aus dem Schmelztiegel wieder heraussprangen. Und welchen Grund kann man schließlich haben, kein Franzose sein zu
wollen?, fragten sie sich. Und deswegen behielten die unzähligen
französischen Polizeibehörden solche Leute im Auge. Hadi wusste das und gab
sich deshalb Mühe, nicht aufzufallen; er hoffte, dass Allah verstehen und ihm
in Seiner unendlichen Gnade vergeben würde. Außerdem war er schließlich nicht
der einzige Muslim, der Alkohol trank. Die französische Polizei registrierte
das und ließ ihn folglich in Ruhe. Er hatte einen festen Arbeitsplatz - als
Verkäufer in einem Videoladen kam gut mit seinen Kollegen aus, wohnte in einem
bescheidenen, aber komfortablen Apartment in der Rue Dolomieu im 5.
Arrondissement, fuhr einen Citroen-Kombi und machte keinen Ärger. Was der
Polizei nicht auffiel, war, dass er ein wenig über seine Verhältnisse lebte.
Die Polizisten hier waren gut, aber auch nicht vollkommen.
Außerdem
entging ihnen noch, dass er hin und wieder reiste, meistens innerhalb Europas,
und sich gelegentlich mit Ausländern traf, gewöhnlich in einem netten Bistro.
Besonders gern trank er einen leichten Roten von der Loire, wobei er nicht
wusste, dass der Winzer, ein Jude, ein entschlossener Unterstützer des Staates
Israel war. Antisemitismus gab es neuerdings wieder in Frankreich, sehr zur
Freude der fünf Millionen Muslime, die inzwischen dort lebten.
»Darf ich
mich zu dir setzen?«, hörte Hadi eine Stimme neben sich.
Er wandte
sich dem Sprecher zu. »Natürlich.«
Ibrahim
setzte sich. »Wie war die Reise?«
»Problemlos.«
»Und was
hast du für mich?«, fragte Ibrahim.
Hadi zog
die CD-ROMs hervor und schob sie offen über den Tisch. Unauffällig wirken zu
wollen war oft selbst auffällig. Und ein zufälliger Fremder — übrigens auch ein
erfahrener Zollbeamter - hätte auf den CDs, wenn er sie sich angesehen hätte,
sowieso nichts weiter gefunden als eine digitale Diashow von einem Sommerurlaub.
»Hast du
sie dir angesehen?«, fragte Ibrahim. »Natürlich nicht.«
»Probleme
bei der Einreisekontrolle?«
»Nein. Ich
war ein bisschen überrascht, ehrlich gesagt«, meinte Hadi.
»Wir sind
fünf Millionen hier. Sie können uns nicht alle überwachen, und ich verhalte
mich unauffällig. Sie glauben, dass ein Muslim, der Alkohol trinkt, harmlos
ist.«
Sich
unauffällig zu verhalten hieß, dass er keine Moschee besuchte und sich nicht
an Orten blicken ließ, wo man islamischen Fundamentalisten begegnete, die in
Frankreich »Integristen« hießen, weil »Fundamentalisten« hier ein Begriff für
christliche Fanatiker war. Die wiederum waren vermutlich zu sehr damit
beschäftigt, sich pausenlos zu betrinken, um ihm gefährlich zu werden, dachte
Hadi. Ungläubige.
»Es hieß,
ich könnte vielleicht eine andere Rolle übernehmen«, drängte Hadi.
Sie saßen
an einem Tischchen draußen auf dem Bürgersteig. Keine drei Meter entfernt
waren Leute, aber schließlich gab es den Verkehrslärm und das übliche Getriebe
einer Großstadt. Beide vermieden es, sich konspirativ über den Tisch zu
beugen. Das hatte man zuletzt in Filmen aus den Dreißigerjahren gesehen; Viel
unverdächtiger war es, seinen Wein zu trinken, eine Zigarette zu rauchen und
den Frauen mit ihren eleganten Kleidern und entblößten Beinen nachzuschauen.
Dafür
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