Clancy, Tom
machte er ein Schiff am Horizont aus, das in westlicher Richtung
fuhr. Wahrscheinlich ein Versorgungsschiff auf der Rückfahrt vom neuen Ölfeld,
das weiter östlich an der Lena, südlich von Tiksi, entdeckt worden war; es
hatte wohl Ölbohrtechnik geliefert. Nach dem Kielwasser zu schließen, lief der
Frachter mit Höchstgeschwindigkeit, um genau dem Sturm zu entkommen, in den
sie geradewegs hineinsteuerten.
Wanja
erschien neben ihm. »Die Maschinen sind in Ordnung. Alles verschalkt, Luken
sind dicht.« Vitali hatte ihm gesagt, er solle das Boot sturmfest machen. Was
sie nicht tun konnten, war, ihre Passagiere auf das Kommende oder das Boot auf
die Gewalt des Meeres vorzubereiten. Mutter Natur war launisch und grausam.
Zuvor
hatte Vitali noch Fred gebeten, er solle seine Männer beim Enteisen des Boots
helfen lassen; sie gehorchten trotz ihres wackeligen Gangs und der seekranken
grünen Gesichter. Die eine Hälfte schlug mit Vorschlaghämmern und Äxten auf
das Eis ein, die andere Hälfte schob unter Wanjas Aufsicht mit breiten Getreideschaufeln
die losen Eisschollen über Bord.
»Wenn wir
das hinter uns haben, wollen wir dann nicht nach Sotschi ziehen und da einen
Charterdienst aufmachen?«, fragte Wanja den Kapitän, nachdem er die Passagiere
wieder unter Deck geschickt hatte, damit sie sich ausruhen konnten.
»Viel zu
heiß da. Ein Mann kann da nicht leben.« Die übliche Mentalität der Arktis.
Echte Männer lebten und arbeiteten in der Kälte und prahlten mit ihrer
Zähigkeit. Und der Wodka schmeckte hier auch besser.
Fünfzehn
Kilometer vor ihrem Bug drohte der Sturm, eine brodelnde grauschwarze Wand,
deren Vorrücken Vitali buchstäblich zusehen konnte. »Wanja, geh noch mal nach
unten, und gib unseren Kunden Nachhilfe mit den Sicherheitsanzügen.«
Wanja
wandte sich zum Niedergang.
»Und sieh
zu, dass sie diesmal aufpassen«, fügte Vitali hinzu.
Als
Kapitän trug er die Verantwortung für die Sicherheit seiner Passagiere, aber
vor allem bezweifelte er, dass der Auftraggeber dieser Leute, wer immer es war,
ihm verzeihen würde, wenn sie allesamt umkämen.
Eine idiotische Übung, dachte Musa Merdasan, während er dem zwergenhaften Russen
zusah, wie er den orangefarbenen Überlebensanzug auf dem Deck entfaltete.
Erstens gab es ja kein Rettungsschiff hier, das sie rechtzeitig erreichen
würde, Anzug oder nicht; zweitens würde sowieso keiner seiner Männer diesen
Anzug anlegen. Wenn es Allah gefiel, sie der See zu übergeben, dann würden sie
ihr Schicksal akzeptieren. Außerdem wollte Merdasan gar nicht, dass einer von
ihnen aus dem Meer gefischt würde. Wenn das geschehen sollte, dann hoffte er,
dass der Leichnam in einem nicht identifizierbaren Zustand sein würde. Er
musste auch darauf achten, dass weder der Kapitän noch sein Maat einen
Schiffbruch überlebten, damit niemand Fragen über seine Passagiere und ihr Ziel
stellen konnte. Eine Schusswaffe war im Wasser zu unzuverlässig, also ein
Messer, und das möglichst, bevor sie über Bord gingen. Am besten den Bauch
aufschlitzen, damit sie auch wirklich auf den Meeresgrund sanken.
»Erst legen
Sie den Anzug flach aufs Deck und öffnen den Reißverschluss, dann setzen Sie
sich direkt über das untere Ende der Öffnung«, sagte der Russe gerade.
Merdasan
und seine Männer hörten natürlich zu und taten ihr Bestes, um aufmerksam zu
wirken. Keiner von ihnen sah allerdings besonders gesund aus. Der immer rauere
Seegang hatte bereits die Farbe aus ihren Gesichtern gewaschen. Die Kabine
stank nach Erbrochenem, Schweiß und zerkochtem Gemüse.
»Zuerst
die Beine, dann nacheinander beide Arme, dann die Kapuze überziehen. Dann
rollen Sie auf die Knie, ziehen den Reißverschluss zu und schließen den
Klettverschluss vor der unteren Gesichtshälfte.«
Der Russe
ging von Mann zu Mann und sah nach, dass alle den Anweisungen folgten. Dann sah
er sich zufrieden um: »Noch Fragen?«
Keine
Fragen.
»Wenn Sie
über Bord gehen, schaltet Ihr EPIRB ...«
»Unser
was?«, unterbrach ihn einer.
»Das heißt Emergency Position-Indicating Radio Beacon - ein
Notfunkfeuer, das Ding am Kragen hier — sich automatisch ein, sowie es mit
Wasser in Kontakt kommt. Irgendwelche Fragen dazu?«
Keine
Fragen.
»Okay,
dann legen Sie sich in die Kojen, und halten Sie durch.«
Obwohl
Vitali wusste, was er zu erwarten hatte, erschreckten ihn Geschwindigkeit und
Wucht des Sturms trotzdem. Der Himmel wurde pechschwarz, und innerhalb von
fünf Minuten verwandelte sich
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