Clancy, Tom
die wir uns nicht gestellt haben, ist das Warum. Wenn der Emir aus
Pakistan oder Afghanistan mit unbekanntem Ziel abgereist ist - warum tat er
das? Und warum jetzt? Soweit wir wissen, hat er die Region möglicherweise seit
vier Jahren nicht verlassen. Kamen wir ihm zu nahe, oder gab es einen anderen
Grund?«
»Zum
Beispiel?«
»Ich weiß
es nicht. Ich versuche nur, wie er zu denken. Nehmen wir mal an, ich hätte
etwas am Kochen, eine wirklich große Operation. In diesem Fall würde ich mir
vielleicht doch überlegen müssen, meine Zelte abzubrechen und einen anderen
Unterschlupf zu suchen, um ganz sicherzugehen, dass ich nicht gefasst werde und
bei einem robusten Verhör alles ausplaudere.«
»Das wäre
aber ein riskanter Schachzug.«
»Mag sein,
aber vielleicht weniger riskant, als am alten Platz herumzuhängen, denn ich
könnte mir ausrechnen, dass die Wahrscheinlichkeit, nicht erwischt zu werden,
immer geringer wird. Wenn ich den Standort wechsle, bleibe ich nicht nur frei,
sondern kann auch besser mitmischen.«
Chavez
schwieg eine Zeit lang. Schließlich meinte er: »Du hast da einen guten
Denkapparat in der Hirnschale, Jack.«
»Danke,
aber ich hoffe, dass ich mich in dieser Hinsicht irre. Wenn ich recht habe,
könnte es nämlich sein, dass eine wirklich große Sache auf uns zurollt.«
Sie hatten es geschafft, den Sturm zu überleben, aber es war
sehr knapp gewesen. Das Boot war bis an seine Grenze belastet worden. Vier
Stunden nachdem sie in das Tiefdruckgebiet geraten waren, erreichten sie seine
westliche Begrenzung und fanden sich bei blauem Himmel in ruhiger See wieder.
Vitali und Wanja hatten das Boot gelandet und den Rest des Tages und den frühen
Abend damit verbracht, es auf Schäden zu überprüfen, aber nichts gefunden, das
eine Rückkehr in den Hafen erfordert hätte. Selbst wenn, hätte Fred es wohl
kaum zugelassen, glaubte Vitali. Es hatte ihn schockiert, wie Fred den über Bord
Gegangenen aufgegeben hatte - weniger die Entscheidung selbst als die
Gefühllosigkeit, mit der sie getroffen wurde. Das waren überaus entschlossene
Männer.
Ihr Ziel
war der Leuchtturm, auch wenn er sich immer noch nicht vorstellen konnte, was
sie dort wollten. Er stand auf Kap Morrasale am Golf von Bajdaratskaja und war
kein besonders wichtiges Seezeichen — zumindest nicht mehr. Es hatte dort
einmal eine Ansiedlung gegeben, wahrscheinlich eine Beobachtungsstation für die
Atomtests auf Nowaja Semlja, und einige Berufsfischer hatten es dort versucht,
waren aber schon nach vier Fangzeiten mit ihren Booten weiter nach Westen in
bessere Fanggründe gezogen. Die Seekarten zeigten zehn bis zwölf Faden
Wassertiefe, also bestand kaum Gefahr, auf Grund zu laufen, und außerdem hatten
die meisten Boote inzwischen westliche GPS-Navigationsgeräte, um sie in
sicherem Fahrwasser zu halten.
Seine
Passagiere überprüften jetzt ihren Lkw, ließen den Motor probelaufen und sahen
sich den Hebekran an. Was sie planten, hätte ihm zuwider sein müssen, aber er
fischte hier nicht und auch niemand, den er kannte.
Er konnte
das Leuchtfeuer gerade eben erkennen; es blinkte alle acht Sekunden, genau wie
es die Seekarte angab. Wenn sie ihren Zielstrand erreichten, würde der
Leuchtturm weniger als einen Kilometer entfernt sein. Man erreichte ihn auf
einer Serpentinenstraße die Klippen hinauf. Das würde der schwierigste Teil
der Strecke sein, wie Vitali wusste. Die Straße war nur drei Meter breit und
reichte für den GAZ kaum aus.
Was wollen die hier?, fragte er sich wieder. Das Meer
alleine war schon furchteinflößend genug, aber die Lkw-Fahrt durch diese Einöde
war weiß Gotte nichts für Feiglinge. Fred und seine Männer konnten den Leuchtturm
zwar in zehn Minuten erreichen, aber er hatte Vitali gesagt, sie würden den
ganzen Tag weg sein, vielleicht auch über Nacht. Was hatten sie vor, das so
lange dauerte? Vitali verdrängte den Gedanken; es war nicht sein Job, Fragen zu
stellen. Sein Job war es, das Boot zu steuern.
Das Meer
war spiegelglatt, und das Plätschern der Uferwellen an den Rumpfseiten war kaum
zu hören. Auf Deck kochten sich die Charterkunden gerade Kaffee auf einem
kleinen Petroleumofen, den sie mitgebracht hatten.
Mit einem
kräftigen Grollen der Diesel schaltete Vitali in den Rückwärtsgang und schob
die Gashebel vor; das Boot kam knirschend vom Kiesstrand frei. Nach hundert
Metern drehte er bei, sah auf den Gyroskopkompass und wendete weiter bis auf
null-drei-fünf.
Vitali hob
sein Fernglas und
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