Clancy, Tom
Hochrechnungen immer deutlicher Kealtys Sieg abzeichnete, hatte
Netters gewusst, dass er im Amt bleiben würde, sofern der neue Präsident nicht
einen der »parfümierten Prinzen« des Pentagon ernennen würde. Nach einem
kurzen Blick auf die politischen Gewichte (oder vielmehr Leichtgewichte) in
Kealtys Kabinett wusste man, was dieser Mann von seinen Leuten erwartete. Und
das war der entscheidende Punkt. Widersprach man dem König zu oft oder zu
eifrig, würde sofort ein folgsamerer Prinz nachrücken. Widersprach man dem
König nicht, würde das Reich über kurz oder lang von den Barbaren überrannt
werden.
»Erklären
Sie mir doch mal, was ich hier sehe, Admiral«, sagte Präsident Kealty mit einem
verächtlichen Grunzen und schubste das Satellitenfoto wieder über den Tisch zu
Netters hinüber.
»Mr.
President, was wir hier sehen, ist eine groß angelegte Bewegung von Panzern
und mobilen Infanterieeinheiten, die nach Westen in Richtung Grenze
vorrücken.«
»Das sehe
ich selber, Admiral. Um welche Truppenstärke geht es, und was zum Teufel haben
sie vor?«
»Zur
ersten Frage: Wir haben eine gepanzerte Division identifiziert, die aus drei
Panzerbrigaden mit einer Mischung aus älteren sowjetischen T-54, T-62 und
Zulfiqar-Kampfpanzern besteht, ferner vier Artilleriebataillone und zwei
motorisierte Infanteriedivisionen. Über die Frage, was sie vorhaben, sollten
wir jetzt noch nicht nachdenken, Mr. President. Im Moment müssen wir uns darauf
konzentrieren, herauszufinden, wozu sie fähig sind, und uns dann zu ihrer
Absicht vorarbeiten.«
»Erklären
Sie uns das doch mal«, forderte die Nationale Sicherheitsberaterin Ann
Reynolds.
Übersetzung: Ich hab keinen blassen Schimmer, wovon zum Teufel
du redest. Wie Scott Kilborn war auch die demokratische
Kongressabgeordnete aus Michigan im höchsten Maße unqualifiziert, aber ihr
demografisch günstiges Geschlecht und ihr Sitz in dem für die Geheimdienste
zuständigen Kongressausschuss hatten ihr faktisch einen Freiplatz in Kealtys
Kabinett verschafft. Als CEO eines in Detroit ansässigen Unternehmens für
soziale Netzwerke im Internet war Reynolds durchaus kompetent und gerissen
gewesen. Ihr Fehler war, dass sie angenommen hatte, diese Fähigkeiten ließen
sich ohne Weiteres auf die Rolle einer Politikerin und Parlamentarierin
übertragen. Wie Netters vermutete, war noch niemandem wirklich klar geworden,
dass sie völlig überfordert war - eine Tatsache, die ihm gewaltige Angst
einjagte. Die Nationale Sicherheitsberaterin wurstelte sich nur so durch,
offensichtlich hoffte sie, dass sie sich mit ihren Donna Karan-Anzügen, die
männliche Macht andeuten sollten, ihrer schweren Brille und ihrem
Schnellschuss-Sprechstil hungrige Wölfe vom Leib halten könnte.
»Nehmen
wir mal an, ich wollte den olympischen Rekord im Marathonlauf brechen. Dann
ist das meine Absicht. Mein Problem ist jedoch, dass ich beide Beine gebrochen
habe und an Herzinsuffizienz leide. Das ist dann meine Kapazität. Ersteres wird
durch Letzteres determiniert.«
Reynolds
nickte nachdenklich.
DCI Scott
Kilborn sagte: »Mr. President, Teheran wird es wohl als >Übung<
bezeichnen, aber wir dürfen auf keinen Fall ignorieren, was offensichtlich ist:
Erstens bewegen sich die Truppen auf die Provinz Ilam zu, die an der Grenze zum
Irak liegt - in Luftlinie ist das so nahe an Bagdad, wie man im Iran nur kommen
kann.
Hundertdreißig
Kilometer ungefähr. Zweitens haben wir gerade unseren Rückzug aus dem Irak
begonnen. Bestenfalls schicken sie damit eine Warnung an die Sunniten, sich
anständig zu benehmen. Schlimmstenfalls machen sie jetzt ernst und planen eine
Invasion des Irak.«
»Aber mit
welchem Ziel?«
Kealty
stellte zwar diese Frage, und das war gut so, dachte Netters, aber es steckte
keine echte Neugier dahinter. Wenn es um den Irak ging, war der Präsident nur
an Lösungen interessiert und sonst an gar nichts. Vom ersten Tag an hatte er
klargemacht, dass er die US-Truppen so schnell wie möglich zurückholen wollte,
und er hatte dabei allenfalls vordergründig auf taktische Sicherheit geachtet.
Kealty fehlte es an zwei wesentlichen Zutaten für gute Führungskompetenz:
Flexibilität und Neugier. In der politischen Arena verfügte er über beides im
Überfluss, aber dort ging es um Macht, nicht um echte Führungsqualitäten.
»Sie
sondieren nur das Terrain, um zu sehen, wie wir reagieren«, antwortete Kilborn.
»Je länger wir unseren Truppenabzug hinauszögern, desto mehr Zeit hat
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