Clara
Sie wusste es nicht.
»Steiner !« , fuhr er sie an. »Maria Steiner. Sie arbeitet seit über
sechs Jahren für Sie. Räumt den Dreck hinter Ihnen weg. Und Sie kennen nicht
einmal ihren vollständigen Namen. Also fragen Sie nicht scheinheilig nach
meinem !« Sie konnte die Wut in ihm spüren. Clara
blickte zu Boden. Das fing ja gut an. Aber damit war auch eine andere Frage
beantwortet. Sie wusste jetzt zumindest, warum er sie hasste. Also gut. Dann
eben direkt.
»Wann werden
Sie mich gehen lassen?« Sie hatte die Frage noch nicht zu Ende formuliert, als
ihr plötzlich ein Licht aufging. Eine Erkenntnis. Ebenso düster wie unheilvoll.
Warum hatte er gestern die Maske abgezogen? Warum hatte er sich zu erkennen gegeben? Warum stellte er keinerlei Forderungen?
» Er wird mich nicht gehen lassen! Ich werde hier sterben ! « Sie riss die Augen weit auf und
starrte ihn voller Entsetzen an. Er entgegnete ihrem Blick mit
unerschütterlicher Miene. Er wusste, was sie dachte. Umso überraschender war
seine Antwort. Kryptisch und geheimnisvoll.
»Diese
Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Sie werden das jetzt nicht begreifen. Aber
glauben Sie mir. Früher oder später werden Sie es vielleicht verstehen.
Vielleicht aber auch nie. Nur dann sehe ich leider keine Hoffnung für Sie .«
Clara war
verwirrt. Damit konnte sie gar nichts anfangen.
»Wollen Sie,
dass ich mich ändere? Ein besserer, wertvollerer Mensch werde? Ist es das ?« Er grinste sie an.
»Seien Sie
nicht töricht, Clara. Sie werden sich niemals ändern. Aber möglicherweise wird
der Tag kommen, an dem Sie mir einen Dienst erweisen können. Und dann sind Sie
vielleicht frei .« Sie wusste nicht, wovon er sprach.
Das Gespräch ergab kaum Sinn. Sie versuchte es anders.
»Ich weiß,
dass Sie mich hassen. Vielleicht wegen meines Geldes, wegen meiner Bekanntheit,
der Art, wie ich in den Medien rüberkomme. Aber das bin nicht wirklich ich.
Verstehen Sie? Hier. Sie können mich anfassen. Ich bin ein Mensch. Genau wie
Sie. Es gibt so viele reiche, berühmte Leute. Warum ausgerechnet ich ?« Er blickte sie ernst an. Musterte ihr Gesicht, das nun
einen besonders freundlichen und zugleich Hilfe suchenden Ausdruck angenommen
hatte. Die Waffen einer Frau.
»Sie sind
wirklich gut«, begann er. »Ich wusste gar nicht, dass Sie Schauspielunterricht
hatten. Auf Ihrer Homepage stand davon jedenfalls nichts. Und da steht sonst
doch alles. Zumindest bis vor einer Woche. Jetzt ist sie aus dem Netz genommen
worden. Aber dafür gibt es eine Neue. ›Findet-Clara.com‹. Hübscher Name. Finden
Sie nicht auch ?« Der Ausdruck in ihrem Gesicht
verschwand. Wurde von einem anderen, bösartigen ersetzt. Sie sprang vom Stuhl,
umklammerte krampfhaft die Gitterstäbe und schrie ihn an.
»Du
verdammtes Schwein! Du verdammtes Schwein! Du verdammtes ...« Sie brach abrupt
ab und sank weinend in den Sessel zurück. Schluchzte lauthals los. Er ließ sie
gewähren. Erst als sie sich wieder halbwegs beruhigt hatte, sprach er weiter.
Seine Stimme blieb hart. Jedoch ohne jeden Hohn.
»Ich habe
Sie bei mir aufgenommen, weil Sie es mehr als alle anderen verdient haben .« Clara trocknete ihre Tränen. »Sie nennen France Marriott als Ihr Vorbild .« Er
schnaubte verächtlich. »Alleine das würde zur Begründung meiner Motive schon
ausreichen. Sie sprechen von Ihrem Geld? Es ist nicht Ihr Geld! Ihr Vater häuft
es unentwegt an. In gesetzlicher Grauzone. Auf Kosten armer Schlucker, die zehn
Stunden am Tag oder noch mehr malochen. Und kuschen. Damit sie nicht einen
Arschtritt verpasst bekommen und völlig mittellos auf der Straße sitzen. Der
Obdachlosigkeit wird immer noch die Sklaverei vorgezogen. Gerade im glorreichen
einundzwanzigsten Jahrhundert. Sie sprechen von Berühmtheit? Michelangelo war
berühmt. Botticelli, Da Vinci, Shakespeare, Shaw, Turner, Whitman. Ich könnte
den halben Tag damit zubringen, Ihnen Berühmtheiten aufzuzählen. Viele davon
waren vielleicht eher berüchtigt. Aber nicht Sie. Sie sind ein Parasit. Sie und
Ihr Klüngel saugen alles aus. Machen sich aus dem Elend anderer einen Spaß. Und
die Medien jubeln Sie noch hoch .«
Er machte
eine kurze Pause, um sich zu sammeln. Clara hatte die Tirade mit gesenktem
Haupt über sich ergehen lassen. Nie zuvor war sie so offen und schonungslos
angeklagt worden. Aber was ging sie das alles an? Die Welt war nun einmal so.
Sie hatte dieses Spiel nicht erfunden. Sie wirkte darin nur mit und bewarb sich
um eine möglichst exponierte Rolle. Das
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