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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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Erfuhr alles über die im Sand verlaufenen Ermittlungen. Über die vielen
Hinweise, die zu nichts geführt hatten. Über das Video von der Tat, das auch
keinen Aufschluss gebracht hatte. Über verdächtige Reifenspuren und Fußabdrücke
bei den Müllcontainern. Der anfängliche Optimismus der Ermittlungsbeamten war
verflogen. Es gab keinerlei Forderungen seitens der Entführer. Dadurch war die
Sorge um Claras Sicherheit gestiegen. Und dieser Sorge war schließlich
Resignation gefolgt. Das anfängliche Mitleid mit den besorgten Eltern, die sich
in immer dringlicheren Appellen an die Öffentlichkeit gewandt hatten, schlug in
versteckte Häme um. Ganz nach dem Motto: »Auch die Reichen bleiben nicht immer
verschont .«
    Auch das
Bild des Opfers wurde zunehmend verändert. Sprach man zu Beginn noch von einer
sympathischen, lebensfrohen Frau, begann der Boulevard, sehr schnell den ersten
Dreck hervorzukehren. Selbst seriösere Medien hielten kaum hinterm Berg und
prangerten den Lebensstil Claras unterschwellig an. Einige nicht unbedeutende
Internetforen hatten sich gar dazu verstiegen, mit dem oder den Entführern eine
gewisse Sympathie zu hegen. Je mehr sie las, desto verzweifelter wurde sie. Wie
die Wölfe fielen sie über sie her. Und was tat die Polizei? Die gingen mal
wieder vielversprechenden Spuren nach. Was im
Klartext bedeutete, dass sie im Dunkeln tappten. Langsam liefen die ersten
Tränen über ihre Wangen. Sie dachte an ihre Eltern. Sie hielten zu ihr, während
die restliche Welt sich gegen sie verschworen hatte und sich im Dreck suhlte.
Wie die blutgetränkten Headlines, die auf den Magazinen prangten. Sie war schon
tot. Nur der Nachruf fehlte noch, der ihn manifestierte. Clara zerknüllte die
Artikel und schmiss sie auf den Fußboden. Dann schritt sie weinend, aber
entschlossen so nah wie möglich zu einer der beiden Kameras und schrie gegen
das Okular.
    »Sind Sie
nun zufrieden? Ist es das, was Sie wollten ?« Ja, das
war es. Gebannt starrte er auf den Monitor. Er konnte sie nicht hören. Aber er verstand
sie auch so.

 
    3

 
    Ich watete
durch die Schneelandschaft, die sich nach dem Ortsende abrupt offenbarte. Es
war ein herrlicher Wintertag. Sonnenschein. Glasklarer Himmel. Die Sorgen,
Verzweiflungen und Gemeinheiten der Welt schienen weit entfernt. Und waren doch
so nahe. Dennoch. Seit Claras Entführung hatte sich in mir etwas verändert. Es
war schwer zu beschreiben. Kaum greifbar. So wie die Erinnerung an eine lange
vergangene Hochstimmung. Ich hatte meine Arbeitstage gelassen weggesteckt.
Hatte die Beleidigungen, die Demütigungen gar nicht wahrgenommen. Wie einen
Film, der sich meinem Interesse entzog. Wie Musik, die nur unterbewusst ins Ohr
rieselt. Meine Wünsche, meine Gefühle, meine innersten Empfindungen. All dies
war auf ein Ziel fixiert. Doch der Weg bis dahin würde sehr hart werden.
Steinig und mit unbekannten Schwierigkeiten verbunden. Dessen war ich mir
bewusst. Ich trug einen weißen Eimer, gefüllt mit frischer Wäsche für Clara.
Clara war nicht so wie sie. Und würde es auch niemals sein. Denn sie war
einzigartig. Der Tag, an dem sie gehen musste, erfüllte mich mit einem solchen
Schmerz, den ich niemals überwinden konnte. Einen Schmerz, der mir nur einen
Ausweg ließ. Und Clara war womöglich dieser Ausweg. Ich hatte beschlossen,
während des Winters weitgehend auf Fahrten zum Grundstück zu verzichten. Die
Hütte war voll mit Wasser und Lebensmitteln. Und die Wäsche war weder schwer
noch sperrig. Niemand würde sich daran stoßen, mich mit einem Eimer in der Hand
herumlaufen zu sehen. Ich wohnte hier und gehörte irgendwie dazu. Ich war da
und wiederum nicht. Ich erreichte das klapprige Tor und schloss es auf. Die
Hütte war aus dieser Entfernung sehr schwach zu erkennen. Die Vegetation war
zwar sehr dicht, durch das fehlende Laub schimmerte jedoch die eine oder andere
Winzigkeit durch. Aber wer konnte sich hier schon herumtreiben? Ich zog das Tor
wieder zu und hantierte kurz an dem verschneiten Blechkasten rechts daneben.
Dann setzte ich meinen Weg fort. Durch den schmalen Pfad hin zur Hütte.
Plötzlich hielt ich inne. Ich erkannte Fußspuren, die definitiv nicht von mir
stammten. Ich stellte den Eimer ab und lauschte. Stimmen waren zu hören.
Undeutlich und fragmentarisch. Was sollte ich tun? Nach kurzer Überlegung ging
ich los. Forsch und furchtlos. Da sah ich sie. Zwei Jungen aus der Ortschaft.
Einer lugte neugierig durch das einzige Hüttenfenster, der andere

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