Clara
machte sich
an der Tür zu schaffen. Hoffentlich hatte ich nicht vergessen, den Vorhang
zuzuziehen. Instinktiv wollte ich auf sie zustürmen und sie verjagen. Im
letzten Moment entschied ich mich aber dagegen. Das hätte sie nur ein anderes
Mal wieder angelockt. Nein, hier bedurfte es Psychologie. In freundlichem, aber
unmissverständlichem Ton rief ich sie an.
»He, Jungs,
schöner Tag heute! Macht ihr eine Schneeballschlacht ?« Der Schreck fuhr ihnen in die Glieder. Sie blieben wie angewurzelt stehen und
wandten ihre Köpfe zu mir. Schließlich fasste sich einer der beiden ein Herz.
»Nein, wir
spielen bloß ein wenig rum .« Ja, das sah ich. Und zu
diesem Zweck sollte meine Hütte aufgebrochen werden.
»Seid ihr
nicht die beiden Burger-Kinder ?« Sie nickten. Ich
setzte eine bedrohliche Miene auf und blickte sie mit finsteren, scharfen,
bohrenden Augen an. Jeden einzeln für sich. Meine Stimme klang weiterhin
freundlich. Ich merkte, dass sie Angst bekamen. »Offenbar interessiert euch
mein kleines Häuschen. Wenn ihr wollt, ich z-e-i-g-e es euch gern .« Nun spürte selbst ich die Drohung.
»Danke, aber
wir müssen jetzt nach Hause. Mama wartet schon«, sagte der Mutigere der beiden.
Sie wollten in Richtung Tor gehen, doch ich versperrte ihnen den Weg.
»Geht wieder
von dort zurück .« Ich deutete auf die Fußspuren, die
direkt zum Zaun führten. Nachdem sie ihn überwunden hatten, rief ich ihnen noch
einmal nach. »Kommt ruhig wieder. Ich bin oft da und warte gerne auf euch !« Ich ließ sie nicht aus den Augen.
Der Mutige
sah zu mir her. Dann begannen sie zu laufen. So lange, bis sie aus meinem
Blickfeld verschwanden.
Die würde
ich los sein. Aber vielleicht würden andere kommen. Es musste etwas unternommen
werden. Und ich hatte auch schon eine Idee. Bewegungsmelder. Plötzlich
angehendes Licht, vor allem nachts, schreckte Einbrecher ab. Zumindest noch in
dieser Gegend. Ich blickte durchs Fenster. Ja, die Vorhänge waren zu. Und das dicke
Plexiglas war abgetönt.
Nachdem ich
den Kübel geholt hatte, schloss ich die schwere, doppelt gesicherte Eichentür
auf und hinter mir wieder ab. Der Raum war vollgestellt mit gefüllten Regalen. In der Mitte stand ein Tisch mit zwei Monitoren.
Ansonsten befanden sich nur ein Notbett und ein großer Heizlüfter im Raum. Ich
hätte auch einen Holzofen installieren können, entschied mich letztlich aber
dagegen. Rauch aus dem Wald zog Aufmerksamkeit auf sich.
Ich
schaltete die Monitore ein. Clara lag auf dem Bett und las. Ich öffnete die
Bodenluke, die dicht an einer Außenwand lag und stieg samt Wäscheeimer in die
Schleuse hinab.
4
Clara schrak
auf, als der Eingang geöffnet wurde.
»Bleiben Sie
im Bett liegen !« , herrschte er sie an. Schnurstracks
ging er zur schräg gegenüberliegenden Gittertür und schloss sie auf. Dabei
behielt er Clara im Auge. Sie wurde nervös. Was wollte er bloß? Doch er stellte
lediglich einen weißen Eimer in der Zelle ab und ging wieder raus. Anschließend
begab er sich zu der Ausbuchtung in der Mitte des Gangs und klappte einen dort
angebrachten, gepolsterten Sitz herunter. Mit einem leichten Lächeln bedeutete
er ihr aufzustehen.
»Nehmen Sie
Ihren Stuhl und setzen Sie sich doch ein wenig zu mir«, sagte er beinahe sanft.
Was im Klartext hieß, dass sie sich direkt vors Gitter platzieren sollte. Clara
tat, wie ihr geheißen, und begann, nun erstmals völlig bewusst ihren Peiniger
zu mustern. Er war etwa eins fünfundsiebzig bis eins achtzig groß und hatte
dunkelbraunes, kurzes, leicht gelocktes Haar. Die Ohren standen eine Spur zu
weit ab. Gerade eine Winzigkeit, aber der Betrachter erkannte es. Er war glatt
rasiert, sein Gesicht war kantig, die Haut leicht aufgedunsen. Er trank.
Behielt aber offensichtlich einen klaren Kopf. Seine Augenbrauen saßen tief,
kleine Tränensäcke zeichneten sich unter diesen stechend grünen Augen ab. Seine
Augen waren ihre erste Erinnerung an ihn.
»Nun, Clara,
Sie haben bestimmt ein paar Fragen. Nur Mut«, begann er die Konversation.
Fragen hatte sie mehr als genug. Aber womit nur
anfangen? Vielleicht wäre ein persönlicher Einstieg ganz gut.
»Wie ist Ihr
Name ?« Sein Lächeln verschwand.
»Was
interessiert Sie das? Fragen Sie mich Dinge, die Sie
interessieren. Was kümmern Sie schon Namen ?« , gab er
verärgert zurück. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Wie heißt Ihr
Dienstmädchen ?«
»Maria«,
sagte sie nach kurzem Zögern.
»Und
weiter?« Clara blieb stumm.
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