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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
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gespreizten Schwingen zu fliegen. Der Wolf riss das Maul auf, seine Zähne waren fein wie Nadeln.
    »Madamina!«
    Claras Kopf fuhr hoch. Der Puppenmeister Grisini stand im Türrahmen des Salons. Sie hatte doch selbst gesehen, wie er vor einer Viertelstunde das Haus verlassen hatte!
    »Sie kommen apropos .« Er nahm seinen Hut ab und verbeugte sich. »Ich benötige Ihre Augen, Miss Wintermute, ihre scharfen, wachen Augen. Helfen Sie mir.«
    Clara zögerte. Schickte es sich, mit Grisini zu sprechen? Sie waren einander nicht vorgestellt worden, und sie wusste nicht, was apropos bedeutete. Sie hegte die vage Vermutung, dass madama die gebührliche Anrede für eine italienische Dame war. Also bedeutete madamina vielleicht kleine Dame. Clara fragte sich, ob Grisini sich über sie lustig machte oder nur sehr höflich war.
    Der Puppenmeister streckte seine Hände aus. »Ich habe meine Taschenuhr mit dem Figurenautomaten verloren. Ihr überaus zuvorkommender Butler Bartletti hat mir gestattet, über die Hintertreppe nach oben zu kommen, um danach zu suchen. Aber es ist hier so dämmerig und meine Augen sind nicht mehr so gut wie in meiner Jugend. Würden Sie mich in den Salon begleiten und suchen helfen, kleine madama? Es ist eine sehr seltene Taschenuhr – preziosissimo! «
    Clara verspürte kein Verlangen, Grisini in den dunklen, leeren Salon zu folgen, doch ihr fiel keine höfliche Ausrede ein. Aus der Nähe bemerkte sie, wie schäbig seine Erscheinung war. Auf seinem zerschlissenen Gehrock glitzerten Tröpfchen des feuchten Nebels und unter seinem Kinn klebte ein Heftpflaster. Seine Worte schienen in der Luft zu hängen: madamina, apropos, preziosissimo, Taschenuhr …! Aber Taschenuhr war nicht italienisch. Und damit musste der Gegenstand in ihrer Hand gemeint sein. Clara lächelte erleichtert. »Ich habe sie gerade gefunden«, sagte sie und hielt Grisini die Uhr hin.
    Blitzschnell war er neben ihr. Er schnappte sich die Uhr so flink, dass Clara nicht einmal die Handbewegung wahrnahm. »Aha! Da ist sie ja! Attenti, gleich schlägt es sechs Uhr, dann zeige ich es Ihnen. In einem Augenblick wird der Wolf den Schwan aufschrecken – guardate! «
    Und wie auf ein Stichwort erwachten die Figuren zum Leben. Der goldene Kiefer des Wolfs bewegte sich und schnappte zu. Der Schwan flatterte mit den Flügeln und erhob sich gut einen halben Zentimeter. Aus dem Inneren der Uhr erklang ein schwaches Geräusch: Ein winziger Schlägel schlug auf einen Miniaturgong.
    »Bau! Bau!«, ahmte Grisini den Klang nach. »So bellen die Hunde in Venedig, Miss Wintermute. Gefällt Ihnen meine Uhr?«
    Clara schwankte. Sie mochte die Farben der Uhr, das glänzende Silber und Gold auf der schwarzen Emaille. Aber ihr tat der arme Schwan leid, der nicht davonfliegen konnte. »Sie ist schön«, erwiderte sie nüchtern.
    Grisini nickte. »Sì, molto bello.« Er legte den Kopf auf die Seite. Seine Augen funkelten. »Wäre das ein hübsches Geschenk zu Ihrem Geburtstag? Soll ich sie Ihnen schenken, Miss Wintermute?«
    »Oh nein!«, entfuhr es Clara und sie schlang ihre Finger hinter dem Rücken ineinander. »Ich meine: Nein danke. Das ist sehr freundlich von Ihnen … aber ich kann das nicht annehmen.«
    »Perchè no?« Grisinis Finger schlossen sich um die Uhr. Er öffnete die Hand wieder und sie war leer. Er lachte über Claras Verblüffung, trat vor und schnippte gegen eine ihrer Korkenzieherlocken. Die Uhr tauchte zwischen seinen Fingern auf. »Wenn ich sie Ihnen gern schenken möchte, warum nicht?«
    »Ich …«, setzte Clara an, aber die Uhr hatte sich schon wieder in Luft aufgelöst. Er schnipste mit den Fingern und da funkelte sie in seiner anderen Hand. Als er sie zum dritten Mal verschwinden ließ, fand er sie unter Claras Schärpe wieder. Dann unter ihrem Kinn und schließlich verrenkte er sich fast, als er sich bückte, um sie unter dem Saum ihres Kleids hervorzuzaubern. Grisini tänzelte um sie herum, seine Hände schwirrten durch die Luft, die Uhr verschwand und tauchte aus dem Nichts wieder auf. Clara fühlte sich, als würde man sie kitzeln. Sie wollte lachen. Sie wollte schreien.
    »Vielleicht fürchten Sie nur, dass es Ihre Mutter herausfindet«, sagte Grisini leise. »Wie verstört sie vorhin war! Oh ja, ich habe es bemerkt. Der Junge hat die Skelettpuppe tanzen lassen und so konnte ich zusehen … und ich habe Sie lachen hören!« Sein Grinsen wurde breiter. Seine Zähne waren schwarz und gelb wie die Tasten eines alten Klaviers.

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