Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
las. Die Augen brannten ihr, im Kopf war sie hellwach. Sie legte das Buch auf den Nachttisch und machte das Licht aus. Adriana schlief. Sie hörte ihre rhythmischen, regelmäßigen Atemzüge, und kurz überkam sie schlechte Laune. Ihrer Meinung nach war Adriana eiskalt – und das Tagebuch eine Kinderei, mit der sie glauben machen wollte, es gäbe in ihrem Leben Geheimnisse. Im Raum herrschte gedämpftes Licht, das von einer Straßenlaterne rührte. Das Nagen eines Holzwurms war in der Dunkelheit zu hören. Aus dem Nebenzimmer kamen gedämpfte Stimmen: Tante Amélia redete im Schlaf.
Das ganze Haus schlief. Isaura lag mit offenen Augen in der Dunkelheit, die Hände hinter dem Kopf gefaltet, und dachte nach.
4
» S eid leise. Ihr wisst doch, dass ich die Nachbarn nicht wecken will«, flüsterte Anselmo.
Er stieg mit Frau und Tochter im Schlepptau die Treppe hinauf und leuchtete ihnen mit brennenden Streichhölzern. Von den eigenen Worten abgelenkt, verbrannte er sich. Unwillkürlich stieß er einen Laut aus, dann riss er ein neues Streichholz an. Maria Claudia bekam vor Lachen kaum Luft. Ihre Mutter schimpfte leise:
»Bist du wohl still, was soll das!«
Sie erreichten ihre Wohnung. Traten auf Zehenspitzen ein, wie Diebe. Kaum waren sie in der Küche, sank Rosália auf einen Hocker.
»Oh, was bin ich müde!«
Sie zog die Schuhe und Strümpfe aus und zeigte ihre angeschwollenen Füße.
»Seht euch das an!«
»Du hast Wasser, das ist es«, erklärte ihr Mann.
»Ach was!« Maria Claudia lachte. »Jetzt übertreib es mal nicht gleich, Papa.«
»Wenn dein Vater sagt, dass ich Wasser habe, dann stimmt es auch«, erwiderte die Mutter.
Anselmo nickte ernst. Er sah sich die Füße seiner Frau genau an und leitete daraus weitere Argumente für seine Diagnose ab.
»Es ist, wie ich sage …«
Maria Claudias kleines Gesicht verzog sich missgestimmt. Der Anblick der Füße ihrer Mutter und der Gedanke an eine damit verbundene Krankheit waren ihr unangenehm. Alles Hässliche war ihr unangenehm.
Eher um sich der Unterhaltung zu entziehen als aus Liebe zur Arbeit holte sie drei Tassen aus dem Schrank und goss Tee ein. Sie stellten immer die gefüllte Thermoskanne für die Rückkehr bereit. Die fünf Minuten, die sie diesem kleinen Imbiss widmeten, schenkten ihnen ein ganz besonderes Gefühl, als hätten sie plötzlich die Mittelmäßigkeit ihres Lebens hinter sich gelassen und wären auf der Skala des Wohlstands ein paar Stufen aufgestiegen. Die Küche verschwand, und an ihrer Stelle entstand ein kleiner Salon mit teuren Möbeln, Bildern an den Wänden und einem Klavier in der Ecke. Rosália hatte kein Wasser mehr in den Beinen, Maria Claudia war nach neuester Mode gekleidet. Nur Anselmo veränderte sich nicht. Er blieb immer derselbe. Ein großer, vornehmer, gutaussehender, leicht gebeugter Mann mit Glatze, der seinen schmalen Schnurrbart strich. Die Miene gleichbleibend ausdruckslos, das Ergebnis jahrelanger Bemühung, Gefühle zu unterdrücken und sich damit Achtbarkeit zu sichern.
Leider währte es nur fünf Minuten. Rosálias nackte Füße setzten sich durch, und Maria Claudia ging als Erste schlafen. In der Küche begann der Monolog-Dialog, wie ihn Ehepaare führen, die seit mehr als zwanzig Jahren verheiratet sind. Banalitäten, Wörter, die nur dahingesagt werden, ein schlichtes Vorspiel für den ruhigen Schlaf im reifen Alter.
Nach und nach wurden die Geräusche leiser, bis schließlich die erwartungsvolle Stille herrschte, die dem Einschlafen vorausgeht. Danach wurde die Stille noch tiefer. Nur Maria Claudia lag noch wach. Sie hatte immer Schwierigkeiten einzuschlafen. Der Film hatte ihr gefallen. Im Kino hatte ein junger Mann sie in den Pausen lange angesehen. Beim Hinausgehen war er ihr sogar so nah gekommen, dass sie seinen Atem in ihrem Nacken spüren konnte. Aber dass er ihr nicht gefolgt war, verstand sie nicht. Dann wäre es besser gewesen, er hätte sie nicht so lange angesehen. Ihre Gedanken schweiften vom Film zu ihrem Besuch bei Dona Lídia ab. Wie schön Dona Lídia war! »Viel schöner als ich …« Sie war traurig, dass sie nicht wie Dona Lídia aussah. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie das Auto vor der Tür gesehen hatte. Schlagartig war sie hellwach, unmöglich, einzuschlafen. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, doch vermutete sie, dass die Uhr bald zwei schlagen würde. Wie alle im Haus wusste sie, dass Dona Lídias nächtlicher Besuch gegen zwei Uhr ging. War es der Film, der junge
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