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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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es. Mit einem ungeduldigen »Komme schon!« begab sie sich zur Tür, den Sohn im Schlepptau. Vor ihr stand eine kleine Frau mit Umschlagtuch, die eine Zeitung in der Hand hielt. Misstrauisch sah Carmen sie an und fragte auf Spanisch:
    »Qué desea?«
Es gab Situationen, in denen sie um nichts in der Welt Portugiesisch gesprochen hätte.
    Die Frau lächelte bescheiden.
    »Guten Tag, Senhora. Ich habe gelesen, dass es hier ein Zimmer zu vermieten gibt, richtig? Könnte ich es mir ansehen?«
    Carmen war verblüfft.
    »Ein Zimmer zu vermieten? Nein, hier gibt es kein Zimmer zu vermieten.«
    »Aber in der Zeitung steht eine Anzeige …«
    »Eine Anzeige? Darf ich mal sehen?«
    Ihre Stimme zitterte vor kaum unterdrücktem Ärger. Sie atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Die Frau wies mit einem Finger, der eine Nagelbettentzündung hatte, auf die Anzeige. Da stand es, in der Rubrik »Zimmer zu vermieten«. Es war eindeutig. Alles stimmte: der Name der Straße, die Hausnummer und die unmissverständliche Angabe Parterre links. Sie gab die Zeitung zurück und erklärte kurz und knapp:
    »Hier gibt es kein Zimmer zu vermieten!«
    »Aber in der Zeitung …«
    »Ich sagte doch schon … Und außerdem steht da, für einen Herrn!«
    »Zimmer sind so knapp, dass ich …«
    »Sie gestatten!«
    Damit schlug sie der Frau die Tür vor der Nase zu und ging zu ihrem Mann. Ohne ins Esszimmer zu treten, fragte sie:
    »Hast du eine Anzeige aufgegeben?«
    Emílio Fonseca, in jeder Hand eine bunte Perlenkette, blickte sie an, zog eine Augenbraue hoch und antwortete ruhig und in ironischem Ton:
    »Eine Anzeige? Höchstens, um neue Kunden zu werben.«
    »Um ein Zimmer zu vermieten.«
    »Ein Zimmer? Nein, meine Liebe. Wir leben in Gütergemeinschaft und Gleichberechtigung, nie würde ich es wagen, über ein Zimmer zu verfügen, ohne dich zu fragen.«
    »Mach dich nicht lustig.«
    »Ich meine es ernst. Wer würde es wagen, sich über dich lustig zu machen?«
    Carmen antwortete nicht. Aufgrund ihrer nicht perfekten Kenntnis des Portugiesischen unterlag sie bei einem Schlagabtausch wie diesem immer. Also erklärte sie in sanftem Ton, in dem ein Hintergedanke mitschwang:
    »Es war eine Frau. Sie hatte eine Zeitung dabei, und da stand die Anzeige drin. Für unser Haus, eindeutig. Und weil es eine Frau war, dachte ich, du hättest die Anzeige aufgegeben …«
    Emílio Fonseca schloss den Musterkoffer mit einem Knall. Obwohl die Worte seiner Frau nicht ganz deutlich waren, hatte er sie verstanden. Er blickte auf, sah sie mit seinen kalten hellen Augen an und erwiderte:
    »Wenn es ein Mann gewesen wäre, hätte ich also daraus schließen sollen, dass du die Anzeige aufgegeben hast?«
    Carmen lief rot an.
    »Du Flegel!«
    Henrique, der aufmerksam zugehört hatte, schaute den Vater an, gespannt, wie er reagieren würde. Aber Emílio zuckte langsam die Achseln und murmelte nur:
    »Du hast recht. Entschuldige.«
    »Ich will nicht, dass du dich entschuldigst«, erwiderte Carmen, nun aufgebracht. »Wenn du dich entschuldigst, nimmst du mich nicht ernst. Dann schlag mich lieber!«
    »Ich habe dich noch nie geschlagen.«
    »Wage es bloß nicht!«
    »Keine Sorge. Du bist größer und stärker als ich. Lass mir die Illusion, dass ich zum starken Geschlecht gehöre. Die letzte Illusion, die ich noch habe. Und jetzt Schluss mit der Diskussion!«
    »Wenn ich aber noch weiterdiskutieren möchte?«
    »Das wäre nicht klug. Ich habe immer das letzte Wort. Ich setze den Hut auf und gehe. Und komme erst abends zurück. Oder überhaupt nicht …«
    Carmen ging in die Küche und holte das Portemonnaie. Sie gab Henrique Geld und schickte ihn in den Laden, Bonbons kaufen. Henrique wollte etwas einwenden, doch die Verlockung der Bonbons war stärker als seine Neugier und sein Mut, der von ihm verlangt hätte, für die Mutter Partei zu ergreifen. Kaum war die Wohnungstür ins Schloss gefallen, kehrte Carmen ins Esszimmer zurück. Ihr Mann hatte sich ans Tischende gesetzt und eine Zigarette angesteckt. Carmen diskutierte sofort weiter:
    »Du kommst nicht zurück, he? Wusste ich es doch! Du hast eine Bleibe, ja? Ich hab’s ja geahnt! So ein Scheinheiliger! Und ich schufte hier wie eine Sklavin den ganzen Tag, für den Fall, dass der Herr nach Hause zu kommen beliebt …«
    Emílio lachte. Carmen wurde wütend.
    »Lach nicht!«
    »Aber natürlich lache ich. Warum sollte ich nicht? Das ist doch alles Blödsinn. Es gibt so viele Pensionen in der Stadt. Wer hindert mich

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