Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
daran, in eine Pension zu gehen?«
»Ich!«
»Du? Also, jetzt hör auf mit diesem Unsinn. Ich muss arbeiten. Schluss damit!«
»Emílio!«
Carmen, ein wenig größer als er, stellte sich ihm bebend in den Weg. Trotz ihres kantigen Gesichts mit dem vorspringendem Kinn sowie zwei tiefen Falten von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln fanden sich noch Spuren fast verwelkter Schönheit, die Erinnerung an einen warm schimmernden Teint, an einen Blick aus feuchten, samtigen Augen, an Jugend. Sekundenlang sah Emílio sie, wie sie vor acht Jahren ausgesehen hatte. Ein Aufblitzen – dann erlosch die Erinnerung.
»Emílio! Du betrügst mich!«
»Unsinn. Ich betrüge dich nicht. Wenn du willst, kann ich auch schwören … Aber wenn es so wäre, was könnte dir das ausmachen? Für so ein Gejammer ist es zu spät. Wir sind seit acht Jahren verheiratet, aber wenn man diese ganze Zeit zusammenrechnet, wie lange waren wir glücklich? In den Flitterwochen, oder vielleicht nicht einmal da. Wir haben uns geirrt, Carmen. Wir haben mit dem Leben gespielt und zahlen jetzt dafür. Man sollte nicht mit dem Leben spielen, nicht wahr? Was meinst du, Carmen?«
Seine Frau hatte sich weinend gesetzt. Unter Tränen stieß sie hervor:
»Mein Leben ist verpfuscht!«
Emílio griff nach dem Musterkoffer. Mit der freien Hand strich er seiner Frau ungewohnt zärtlich über den Kopf und murmelte:
»Unser beider Leben. Auf unterschiedliche Art, aber es gilt für uns beide, das kannst du mir glauben. Vielleicht für mich noch mehr. Du hast wenigstens Henrique …« Seine weiche Stimme wurde unvermittelt hart. »Schluss jetzt. Es kann sein, dass ich nicht zum Mittagessen komme, aber zum Abendessen komme ich bestimmt. Auf Wiedersehen.«
Im Flur drehte er sich um und fügte mit ironischem Unterton hinzu:
»Und was die Anzeige betrifft, das muss ein Irrtum sein. Vielleicht kommt sie von nebenan.«
Er öffnete die Wohnungstür, den Musterkoffer in der rechten Hand, wobei die Schulter wegen des Gewichts ein wenig nach unten hing. Unwillkürlich rückte er seinen Hut zurecht, einen grauen Hut mit breiter Krempe, der sein Gesicht und seine Gestalt noch kleiner machte und seine hellen, abwesend blickenden Augen überschattete.
6
D ona Carmen schickte noch zwei weitere Zimmersuchende weg, dann entschloss sie sich, der Vermutung ihres Mannes nachzugehen. Und als sie, vom Ehestreit und der Diskussion mit den potenziellen Untermietern erhitzt, dies tat, war sie zu Silvestre nicht sehr freundlich. Doch der Schuster, der nun endlich eine Erklärung für das bis dahin unerklärliche Ausbleiben von Interessenten hatte, gab es ihr im gleichen Ton zurück, und als hinter ihm die runde Gestalt seiner Frau Mariana auftauchte, die sich mit bereits aufgekrempelten Ärmeln und in die Hüften gestemmten Händen näherte, musste Carmen das Feld räumen. Um weitere Störungen zu vermeiden, schlug Silvestre vor, ein Schild an der Tür anzubringen, das Interessenten an seine Wohnung verwies. Carmen wandte ein, sie wolle keine Zettel herumhängen haben, worauf der Schuster erwiderte, dann habe sie den Schaden, denn sie würde allen aufmachen müssen, die noch kämen. Widerstrebend willigte sie schließlich ein, und Silvestre verfasste auf einem halben Bogen Briefpapier einen Hinweis. Carmen erlaubte ihm nicht, den Zettel anzubringen – sie selbst befestigte ihn mit Klebstoff an ihrer Tür. Ihr Pech war, dass sie, weil der nächste Interessent nicht lesen konnte, noch einmal ihre Tür öffnen und auf die längst bekannte Frage antworten musste. Was sie von Silvestre und seiner Frau dachte, war weit schlimmer als das, was sie sagte, doch was sie sagte, war bereits alles andere als höflich und gerecht. Wäre Silvestre ein streitbarer Mensch gewesen, hätte sich daraus ein internationaler Konflikt entwickelt. Mariana schäumte vor Wut, doch ihr Mann bremste ihr Ungestüm.
Der Schuster kehrte an sein Fenster zurück und grübelte darüber, wie es zu dem Irrtum gekommen sein konnte. Er wusste natürlich, dass er keine besonders schöne Schrift hatte, doch für einen Schuster fand er sie sehr gut, verglichen mit der Schrift von so manchem Doktor. Er fand keine andere Erklärung, als dass man sich bei der Zeitung vertan hatte. Sein Fehler war es nicht, das wusste er genau. Er sah das Formular noch vor sich, das er ausgefüllt hatte, und er hatte Parterre rechts geschrieben. Während er nachdachte, saß er konzentriert an seiner Arbeit, warf aber ab und zu einen Blick
Weitere Kostenlose Bücher