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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Mann oder ihr morgendlicher Besuch bei der Nachbarin – jedenfalls wurde sie sehr neugierig, obwohl sie ihre Neugier etwas ungehörig fand. Sie wartete ab. Wenige Minuten später hörte sie im Stockwerk unter ihnen das Geräusch eines Schlossriegels und einer Tür, die geöffnet wurde. Undeutliche Stimmen und Schritte die Treppe hinunter.
    Vorsichtig, um die Eltern nicht zu wecken, glitt sie aus dem Bett. Auf Zehenspitzen ging sie zum Fenster und schob den Vorhang beiseite. Das Auto parkte immer auf der gegenüberliegenden Seite. Sie sah die gedrungene Gestalt des Mannes die Straße überqueren und ins Auto steigen.
    Das Auto fuhr an und verschwand rasch aus Maria Claudias Blickfeld.

5
    D ona Carmen hatte ihre ganz eigene Art, die Vormittage zu genießen. Sie gehörte nicht zu denen, die bis mittags im Bett liegen blieben, das war ihr auch gar nicht möglich, denn sie musste Henrique fertig machen und für die Mahlzeit ihres Mannes sorgen, aber niemand durfte ihr damit kommen, sie solle sich vor zwölf Uhr waschen und kämmen. Sie liebte es, vormittags so durch die Wohnung zu gehen, mit offenem Haar, ungepflegt und überhaupt nicht zurechtgemacht. Ihr Mann verabscheute solche Gewohnheiten, sie widersprachen seinen Ordnungsgrundsätzen. Unzählige Male hatte er versucht, seine Frau davon abzubringen, doch irgendwann hatte er einsehen müssen, dass er damit nur seine Zeit vergeudete. Zwar schrieb ihm sein Beruf als Handelsvertreter keine strikte Arbeitszeit vor, dennoch verließ er frühmorgens das Haus, um nicht den ganzen Tag schlechte Laune zu haben. Carmen ihrerseits wurde ungeduldig, wenn ihr Mann nach dem Frühstück zu Hause herumtrödelte. Nicht dass sie sich deswegen genötigt sah, von ihren liebgewonnenen Gewohnheiten abzulassen, doch die Anwesenheit ihres Mannes minderte ihr vormittägliches Vergnügen. Weshalb ein Tag, an dem dies geschah, für beide ein missratener Tag war.
    Als Emílio Fonseca an diesem Morgen seinen Musterkoffer zurechtlegte, um sich auf den Weg zu machen, stellte er fest, dass jemand Muster und Preise durcheinandergebracht hatte. Die Ketten waren nicht da, wo sie hingehörten, sondern zwischen den Armbändern und Broschen, und alles zusammen in einem Wirrwarr von Ohrringen und Sonnenbrillen. Das konnte nur sein Sohn angerichtet haben. Erst wollte er ihn befragen, fand dann aber, das lohne nicht. Wenn der Sohn es leugnete, würde er ihn verdächtigen, zu lügen, und das wäre nicht gut; wenn er es aber gestand, würde er ihn ausschimpfen oder schlagen müssen, was noch schlimmer wäre. Ganz abgesehen davon, dass seine Frau gleich wie eine Furie eingreifen und alles mit großem Gezänk enden würde. Und von Gezänk hatte er nun wirklich genug. Er legte den Musterkoffer auf den Esstisch und machte sich wortlos daran, die Unordnung zu beseitigen.
    Emílio Fonseca war ein kleiner, dürrer Mann. Er war nicht dünn, er war dürr. Knapp über dreißig. Das Haar blond, von einem blassen, verblichenen Blond, und schütter, dazu eine hohe Stirn. Auf seine hohe Stirn war er immer stolz gewesen. Nun, da sie wegen der beginnenden Glatze noch größer wurde, hätte er lieber eine niedrigere Stirn gehabt. Doch hatte er gelernt, sich mit dem Unvermeidlichen abzufinden – und unvermeidlich war nicht nur der Mangel an Haar, sondern auch die Notwendigkeit, den Musterkoffer aufzuräumen. In acht Jahren gescheiterter Ehe hatte er gelernt, ruhig zu bleiben. Sein Mund war hart, mit Falten der Verbitterung. Wenn er lächelte, zog er ihn ein wenig schief, was seinem Gesichtsausdruck einen sarkastischen Anstrich gab, den seine Worte nicht Lügen straften.
    Mit der verlegenen Miene des Täters, der an den Ort seiner Schandtat zurückkehrt, kam Henrique zusehen, was der Vater machte. Er hatte ein Engelsgesicht, blond wie der Vater, doch von einem wärmeren Blond. Emílio würdigte ihn keines Blickes. Vater und Sohn liebten sich nicht, weder sehr noch wenig – sie sahen sich lediglich jeden Tag.
    Aus dem Flur war zu hören, wie Carmen hin und her lief, es klang aggressiv, beredter als tausend Worte. Emílio war mit dem Ordnen fast fertig. Carmen warf von der Tür einen Blick ins Esszimmer, um abzuschätzen, wie lange ihr Mann noch brauchen würde. Für sie dauerte es schon viel zu lange. In diesem Augenblick klingelte es. Carmen runzelte die Stirn. Sie erwartete niemanden um diese Uhrzeit. Der Bäcker und der Milchmann waren schon da gewesen, und für den Briefträger war es noch zu früh. Wieder klingelte

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