Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
wirtschaftlichen Lage, die Notwendigkeit, aus der alten Wohnung auszuziehen – und der Traum von Beethovens Totenmaske war heute noch unerfüllbarer als damals.
»Woran denkst du, Adriana?«, fragte ihre Schwester.
Adriana zuckte lächelnd die Achseln.
»Nichts Besonderes.«
»Hattest du heute Ärger?«
»Nein. Es ist immer dasselbe – eingehende Rechnungen, ausgehende Rechnungen, Lastschriften und Gutschriften über Geld, das nicht uns gehört …«
Beide lachten. Tante Amélia beendete ihre Rechnerei und stellte eine Frage:
»Über Gehaltserhöhung wird da nicht gesprochen, oder?«
Wieder zuckte Adriana die Achseln. Sie hörte diese Frage nicht gern. Das klang für sie so, als fänden die anderen, dass sie zu wenig verdiente, und das kränkte sie. Trocken erwiderte sie:
»Angeblich werden keine Geschäfte gemacht …«
»Immer dieselbe Geschichte. Die einen kriegen viel, andere wenig und wieder andere gar nichts! Wann werden sie endlich lernen, das zu zahlen, was wir zum Leben brauchen?«
Adriana seufzte. Tante Amélia war unbeugsam, wenn es um Geld, Arbeitgeber und Angestellte ging. Nicht dass sie neidisch war, aber sie empörte sich über die Verschwendung in dieser Welt, wo Millionen von Menschen im Elend lebten und Hunger litten. Bei ihnen herrschte keine Not, und zu jeder Mahlzeit stand Essen auf dem Tisch, doch das Haushaltsgeld war knapp, alles Überflüssige war gestrichen, selbst der notwendige Überfluss, ohne den das Leben des Menschen sich fast auf der Ebene von Tieren abspielt. Tante Amélia ließ nicht locker.
»Du musst es ansprechen, Adriana. Seit zwei Jahren bist du in der Firma, aber dein Gehalt reicht kaum für die Straßenbahn.«
»Was soll ich denn machen, Tante Amélia?«
»Was du machen sollst? Mich ansehen, genau so, mit deinen großen Augen!«
Der Satz traf Adriana wie ein Schlag. Isaura sah die Tante streng an.
»Tante Amélia!«
Amélia drehte sich zu ihr um. Dann sah sie Adriana an und sagte:
»Entschuldigt.«
Sie stand auf und verließ den Raum. Adriana erhob sich ebenfalls. Die Mutter forderte sie auf, sich wieder zu setzen.
»Nimm es dir nicht zu Herzen, mein Kind. Du weißt, dass sie die Einkäufe macht. Sie zerbricht sich den Kopf, damit das Geld reicht, aber es reicht nicht. Ihr arbeitet, verdient Geld, aber sie, die Ärmste, quält sich. Wie sehr, das weiß nur ich.«
Tante Amélia erschien in der Tür. Sie wirkte mitgenommen, trotzdem klang ihre Stimme nicht minder brüsk, oder vielleicht konnte sie gerade deshalb nicht anders klingen.
»Wollt ihr eine Tasse Kaffee?«
(Wie in alten Zeiten … eine Tasse Kaffee! Also gut, eine Tasse Kaffee, Tante Amélia! Komm, setzt dich her zu uns, so, mit deinem versteinerten Gesicht und deinem wachsweichen Herzen. Trink eine Tasse Kaffee und stell morgen deine Berechnungen neu an, denk dir Rezepte aus, streich Kosten, streich auch diese Tasse Kaffee, diese unnötige Tasse Kaffee!)
Das abendliche Zusammensein setzte sich fort, nun aber schleppender und schweigsamer. Zwei alte Frauen und zwei, die ihre Jugend schon hinter sich hatten. Die Vergangenheit zum Erinnern, die Gegenwart zum Leben, die Zukunft zum Fürchten.
Gegen Mitternacht schlich sich Schläfrigkeit ein. Hier und da ein Gähnen. Cândida schlug vor (immer kam dieser Vorschlag von ihr):
»Wollen wir nicht langsam schlafen gehen?«
Sie standen auf, Stühle wurden geschoben. Wie üblich, blieb nur Adriana sitzen und wartete ab, bis die anderen ins Bett gegangen waren. Dann räumte sie das Nähzeug weg und ging ins Schlafzimmer. Ihre Schwester las ihren Roman. Adriana nahm aus ihrer Handtasche ein Schlüsselbund und schloss eine Schublade der Kommode auf. Mit einem zweiten, kleineren Schlüssel öffnete sie einen Kasten und entnahm ihm ein dickes Heft. Isaura blickte über ihr Buch hinweg und lächelte.
»Aha, das Tagebuch! Irgendwann bekomme ich zu sehen, was du da schreibst.«
»Dazu hast du kein Recht!«, antwortete die Schwester unwirsch.
»Schon gut! Reg dich nicht auf …«
»Manchmal möchte ich es dir am liebsten zeigen, nur damit du nicht immer dasselbe sagst.«
»Ärgert es dich?«
»Nein, aber du könntest den Mund halten. Ich finde es ziemlich gemein, immer mit diesem Spruch zu kommen. Habe ich etwa nicht das Recht, unter Verschluss zu halten, was mir gehört?«
Adrianas Augen funkelten gereizt hinter den dicken Brillengläsern. Das Heft an die Brust gepresst, bot sie dem ironischen Lächeln der Schwester die Stirn.
»Doch,
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