Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
nach draußen, um zu erkennen, wer von den wenigen Passanten vielleicht wegen des Zimmers kam. Der Vorteil dabei war, dass, sollte es darauf zum Gespräch mit einem Interessenten kommen, er sich bereits für eine Antwort entschieden hätte. Silvestre hielt sich zugute, Menschen nach ihrem Gesicht beurteilen zu können. Als junger Mann hatte er sich angewöhnt, die Menschen geradeheraus anzusehen, um zu erfahren, wer sie waren und was sie dachten, damals, als es fast eine Frage auf Leben und Tod war, ob man einem anderen vertrauen konnte oder nicht. Diese Gedanken, die ihn in seine Vergangenheit führten, lenkten ihn vom Beobachten ab.
Der Vormittag war schon fast vorbei, in der Wohnung duftete es bereits nach dem Mittagessen, aber kein passender Interessent war erschienen. Silvestre bedauerte, dass er so anspruchsvoll gewesen war. Er hatte Geld für die Anzeige ausgegeben, mit der Nachbarin (die zum Glück keine Kundin war) Krach gehabt und saß noch immer ohne Untermieter da.
Er nagelte gerade Beschläge unter ein Paar Stiefel, da erschien auf dem Fußweg auf der anderen Straßenseite ein Mann, er ging langsam mit erhobenem Kopf und betrachtete die Häuser und die vorübergehenden Menschen. Er hatte keine Zeitung in der Hand und allem Anschein nach auch keine in der Tasche. Gegenüber von Silvestres Fenster blieb er stehen und sah sich das Haus Stockwerk für Stockwerk an. Der Schuster tat, als wäre er in seine Arbeit vertieft, und beobachtete ihn heimlich. Er war mittelgroß, brünett, wohl höchstens dreißig Jahre alt. Gekleidet war er auf die unverwechselbare Art, die besagt, dass der Betreffende von Armut und Mittelschicht gleich weit entfernt ist. Der Anzug war ungepflegt, wenn auch aus gutem Stoff. Die Bügelfalten der Hose so wenig vorhanden, dass Mariana darüber verzweifelt wäre. Er trug einen Rollkragenpullover und nichts auf dem Kopf. Anscheinend war er mit dem Ergebnis seiner Besichtigung zufrieden, rührte sich aber nicht vom Fleck.
Silvestre wurde unbehaglich zumute. Er hatte nichts zu befürchten, war nie mehr belästigt worden, seit … seit er damals die Finger davon gelassen hatte, und jetzt war er alt, aber ihn beunruhigte, dass der Mann so selbstverständlich und reglos dastand. Seine Frau trällerte in der Küche, wie üblich falsch, woran Silvestre seine Freude hatte und worüber er ständig Witze machte. Als er das Abwarten nicht mehr aushielt, hob der Schuster den Kopf und sah den Fremden an. Da dieser gerade mit der Betrachtung des Gebäudes fertig war, richtete er seinen Blick just im selben Moment auf Silvestres Fenster. Die beiden Männer sahen sich direkt an, der Schuster ein wenig misstrauisch, der Fremde eindeutig neugierig. Silvestre wandte den Blick ab, um nicht provozierend zu wirken. Der Mann lächelte und überquerte langsam, aber entschlossen die Fahrbahn. Silvestre merkte, dass er zitterte, während er darauf wartete, dass es klingelte. Das geschah nicht so schnell, wie er gedacht hatte. Wahrscheinlich las der Mann noch den Zettel. Endlich klingelte es. Marianas Gesang brach mitten in einer kläglichen Dissonanz ab. Silvestres Herzschlag beschleunigte sich so sehr, dass er sich selbstironisch sagte, er solle sich nicht einbilden, dass der Mann aus Gründen zu ihnen käme, die nichts mit dem Zimmer zu tun hätten, wohl aber mit den Ereignissen von vor langer Zeit, als er … Der Fußboden erbebte unter Marianas Gewicht, als sie sich näherte. Silvestre schob den Vorhang ein Stück beiseite.
»Was ist?«
»Da ist einer wegen des Zimmers. Willst du hingehen?«
Was Silvestre empfand, war nicht unbedingt Erleichterung. Sein kurzer Seufzer drückte Bedauern aus, so als hätte man ihm gerade eine Illusion, seine letzte, geraubt. Es gab keinen Zweifel, er hatte es sich eingebildet …
Mit dem Gedanken, er sei alt und erledigt, ging er an die Tür. Seine Frau hatte schon den Preis genannt, doch da der Mann das Zimmer sehen wollte, sollte Silvestre sich kümmern. Als der junge Mann den Schuster erblickte, lächelte er – ein so verhaltenes Lächeln, dass es praktisch nur in den Augen stand. Er hatte kleine glänzende, sehr schwarze Augen unter dichten, aber schön geschwungenen Brauen. Sein Teint war bräunlich, wie Silvestre schon bemerkt hatte, das Gesicht klar geschnitten, ohne weiche Linien, doch auch nicht übermäßig hart. Ein männliches Gesicht, lediglich durch den feminin geformten Mund abgemildert. Silvestre gefiel das Gesicht.
»Sie möchten also das Zimmer
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