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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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nehmen soll.«
    Der Schuster hörte nicht hin. Er machte ein verärgertes Gesicht, wodurch seine Nase noch länger wurde.
    »Was ist mit dir?«, fragte seine Frau.
    »Was mit mir ist? Wir haben geschlafen. Der junge Mann hat gesagt, wie er heißt, und wir haben geschwiegen, er ist zur Mittagszeit gekommen, aber wir haben ihm nichts angeboten … Das ist es!«
    Mariana sah darin keinen Grund, so verärgert zu sein. Wie sie hießen, das konnten sie immer noch sagen, und was das Mittagessen betraf, Silvestre musste doch wissen, was für zwei reichte, reichte nicht unbedingt für drei. Da er seiner Frau ansah, dass die Sache für sie nicht die geringste Rolle spielte, wechselte er das Thema.
    »Wollen wir jetzt umräumen?«
    »Ja. Das Essen dauert noch etwas.«
    Die Möbel waren schnell eingeräumt. Das Bett, der Nachttisch, die Kommode und ein Stuhl. Mariana zog saubere Laken auf und legte letzte Hand an. Dann traten beide einen Schritt zurück und betrachteten den Raum. Sie waren nicht zufrieden. Das Zimmer wirkte leer. Dabei war der freie Raum gar nicht groß. Im Gegenteil, zwischen Bett und Kommode konnte man nur seitlich hindurchgehen. Aber es fehlte etwas, das den Raum freundlicher und bewohnter hätte wirken lassen. Mariana ging hinaus und kam kurz darauf mit einem Deckchen und einer Vase zurück. Silvestre nickte zustimmend. Die Möbel, bis dahin matt und lustlos, kamen in Stimmung. Ein Bettvorleger nahm dem Fußboden etwas von seiner Nacktheit. Noch etwas hier und da, und das Zimmer strahlte bescheidene Behaglichkeit aus. Mariana und Silvestre lächelten sich an, als gratulierten sie einander zu einer erfolgreichen Aktion.
    Dann setzten sie sich zum Essen.

7
    L ídia legte sich jeden Tag nach dem Mittagessen hin. Sie neigte etwas zum Abnehmen und beugte dem damit vor, dass sie täglich zwei Stunden ruhte. Auf dem breiten, weichen Bett, den Morgenrock gelockert, beide Hände neben dem Körper, den Blick zur Decke gerichtet, entspannte sie Muskeln und Nerven und überließ sich widerstandslos der Zeit. In ihrem Kopf und im Zimmer entstand so etwas wie ein Vakuum. Die Zeit verstrich mit dem gleichen seidigen Geräusch wie Sand im Stundenglas.
    Lídias halbgeschlossene Augen folgten ihren vagen, unbestimmten Gedanken. Der Faden riss ab, Schatten schoben sich wie Wolken dazwischen. Dann zeigte er sich klar und deutlich, um gleich darauf unter Schleiern zu verschwinden und in der Ferne wieder zu erscheinen. Wie ein verletzter Vogel, der sich hinschleppt, flattert, auftaucht und wieder verschwindet, bis er tot umfällt. Unfähig, die Gedanken über den Wolken zu halten, schlief Lídia ein.
    Sie wachte vom lauten Klingeln der Türglocke auf. Verwirrt, die Augen noch voller Schlaf, setzte sie sich im Bett auf. Es klingelte wieder. Lídia stand auf, schlüpfte in die Pantoffeln und ging in den Flur. Vorsichtig äugte sie durch den Spion. Ihre Miene verzog sich missmutig, und sie öffnete die Tür.
    »Komm rein, Mutter.«
    »Guten Tag, Lídia. Darf ich hereinkommen?«
    »Ja, habe ich doch schon gesagt.«
    Die Mutter trat ein. Lídia führte sie in die Küche.
    »Ich störe wohl gerade.«
    »Wie kommst du darauf! Setz dich.«
    Die Mutter setzte sich auf einen Hocker. Sie war knapp über sechzig und trug über ihrem grauen Haar eine schwarze Mantille, ebenso schwarz war ihr Kleid. Ihre weichen, fast faltenlosen Wangen hatten die Farbe von schmutzigem Elfenbein. Die wenig lebhaften, trüben Augen wurden von den fast wimpernlosen Lidern kaum beschützt. Die Augenbrauen waren dünn und wie ein Zirkumflex geformt. Das ganze Gesicht wirkte erstarrt und abwesend.
    »Ich hatte dich heute nicht erwartet«, sagte Lídia.
    »Ich weiß, es ist nicht mein Tag, und ich komme sonst auch nicht um diese Zeit«, antwortete die Mutter. »Geht es dir gut?«
    »Wie üblich. Und dir?«
    »Es geht so. Wenn nicht das Rheuma wäre …«
    Lídia wollte beweisen, dass sie sich für das Rheuma der Mutter interessierte, wirkte dabei aber so wenig überzeugend, dass sie schließlich das Thema wechselte.
    »Ich habe geschlafen, als du geklingelt hast. Ich bin hochgeschreckt.«
    »Du siehst nicht gut aus«, bemerkte die Mutter.
    »Findest du? Bestimmt, weil ich geschlafen habe.«
    »Kann sein. Zu viel Schlaf ist nicht gut.«
    Keine von beiden machte sich mit den Banalitäten, die sie sagten und hörten, etwas vor. Lídia kannte ihre Mutter und wusste, dass sie nicht gekommen war, um festzustellen, ob sie gut oder schlecht aussah; die Mutter ihrerseits

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