Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
Vom Netzwerk:
ich dein Vater bin, den anderen lieber. Auch ihn würdest du jeden Tag sehen, auch er würde mit dir ins Kino gehen …«
    Emílio hatte fast ohne Pause gesprochen und dabei den Sohn nicht angesehen. Er konnte seinem Verlangen nicht mehr widerstehen und zündete sich eine Zigarette an. Bei einem kurzen Blick auf den Sohn sah er dessen ratlose Miene und empfand Mitleid. Aber er war noch nicht fertig.
    »Du weißt nicht, wer ich bin, und wirst es auch nie wissen. Niemand weiß es … Ich weiß auch nicht, wer du bist. Wir kennen einander nicht … Ich könnte weggehen, du würdest nur den Lebensunterhalt verlieren, den ich verdiene …«
    Das war aber eigentlich nicht, was er sagen wollte. Er zog den Rauch tief ein und sprach weiter. Während er die Wörter von sich gab, kam der Rauch mit ihnen stoßweise aus seinem Mund. Henrique beobachtete gespannt den Rauch, ohne im Geringsten darauf zu achten, was der Vater sagte:
    »Wenn du groß bist, wirst du glücklich sein wollen. Vorläufig denkst du nicht daran, und gerade deshalb bist du es jetzt. Wenn du daran denkst, wenn du glücklich sein willst, wirst du es nicht mehr sein. Nie mehr! Vielleicht nie mehr! Hast du gehört? Nie mehr. Je mehr du dir wünschen wirst, glücklich zu sein, desto unglücklicher wirst du sein. Glück kann man nicht zwingen. Man wird dir sagen, man könne es doch. Glaub es nicht. Das Glück ist da oder nicht.«
    Auch dies führte ihn weg von seinem Ziel. Wieder sah er den Sohn an. Seine Lider waren geschlossen, das Gesicht friedlich, sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Er war eingeschlafen. Da flüsterte er sehr leise, den Blick fest auf das Antlitz des Kindes gerichtet:
    »Ich bin unglücklich, Henrique, sehr unglücklich. Irgendwann werde ich weggehen. Wann, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass ich gehen werde. Glück kann man nicht erobern, aber ich will es erobern. Hier geht es nicht mehr. Alles ist tot … Mein Leben ist gescheitert. Ich lebe in diesem Haus wie ein Fremder. Ich habe dich lieb und, vielleicht, auch deine Mutter, aber irgendetwas fehlt mir. Ich lebe wie in einem Gefängnis. Und diese Szenen, dieses … All das … Irgendwann gehe ich …«
    Henrique schlief tief und fest. Eine Strähne seines blonden Haars fiel ihm in die Stirn. Zwischen den leicht geöffneten Lippen leuchteten die kleinen Zähne. Auf seinem ganzen Gesicht lag die Andeutung eines Lächelns.
    Plötzlich spürte Emílio, wie ihm Tränen in die Augen traten. Warum er weinte, wusste er nicht. Die Zigarette verbrannte ihm die Finger, und das lenkte ihn ab. Er ging zurück ans Fenster. Der Regen fiel noch immer eintönig und still. Als er daran dachte, was er gesagt hatte, fand er, er habe sich lächerlich gemacht. Und sei unvorsichtig gewesen. Etwas hatte der Junge ganz bestimmt verstanden. Er konnte der Mutter davon erzählen. Er hatte keine Angst, natürlich nicht, aber er wollte keine Szenen. Wieder Gezänk, wieder Tränen, wieder Proteste – nein! Er war es leid. Ich bin es leid, hast du gehört, Carmen?
    Draußen ging dicht am Fenster seine Frau vorbei, vom Regenschirm kaum verdeckt. Emílio sagte noch einmal laut:
    »Ich bin es leid, hast du gehört, Carmen?«
    Er ging ins Esszimmer, um seinen Musterkoffer zu holen. Carmen kam herein. Sie verabschiedeten sich kühl. Sie hatte den Eindruck, dass ihr Mann verdächtig schnell die Wohnung verließ. Und sie vermutete, dass irgendetwas geschehen war. Sie ging nach nebenan und sah es sofort. Auf der Frisierkommode lag neben dem Aschenbecher eine Zigarettenkippe. Als sie die Asche wegschob, sah sie den dunklen Fleck im angebrannten Holz. Ihre Empörung war so groß, dass sie mit bösen Worten aus ihr herausbrach. Ihr ganzer Kummer machte sich Luft. Sie beklagte das Möbelstück, ihr Schicksal, ihr düsteres Leben. Alles im Flüsterton, dazwischen schluchzte und schniefte sie. Sie sah sich um, befürchtete weitere Schäden. Dann, nachdem sie die Frisierkommode mit liebevollem, aber resigniertem Blick betrachtet hatte, ging sie zurück in die Küche.
    Während sie das Mittagessen vorbereitete, legte sie sich zurecht, was sie zu ihrem Mann sagen wollte. Er sollte nicht glauben, dass sie die Sache auf sich beruhen ließ. Er würde sich anhören müssen, was sie zu sagen hatte. Wenn er etwas kaputt machen wollte, sollte er Sachen kaputt machen, die ihm gehörten, aber nicht die Möbel im Schlafzimmer, die sie vom Geld ihrer Eltern gekauft hatten. So dankte er es ihnen also!
    »Kaputt, kaputt, alles kaputt

Weitere Kostenlose Bücher