Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
Freude. Abel ging im Flur vorbei.
»Guten Abend, Senhor Silvestre«, mit diesen Worten ging er weiter zu seinem Zimmer.
»Guten Abend, Senhor Abel«, antwortete Silvestre. Auf der Stelle legte er zum wiederholten Mal die zerlesene Zeitung weg und beeilte sich, das alte Damespielbrett vorzubereiten.
Sowie Abel sein Zimmer betreten hatte, machte er es sich bequem. Er zog eine alte Hose an, schlüpfte aus den festen Schuhen in Espadrilles und zog sein Jackett aus. Er öffnete den Koffer, in dem er seine Bücher hatte, nahm eins heraus, legte es auf das Bett und wollte mit der Arbeit beginnen. Niemand sonst hätte das als Arbeit bezeichnet, aber für Abel war es das. Vor ihm lag der zweite Band einer französischen Übersetzung der
Brüder Karamasow
, die er zum zweiten Mal las, um Meinungen zu überprüfen, die er sich bei der ersten Lektüre gemacht hatte. Bevor er sich zum Lesen hinsetzte, suchte er nach Zigaretten. Er fand keine. Er hatte alle geraucht und vergessen, neue zu kaufen. Also verließ er sein Zimmer, bereit, sich noch einmal nass regnen zu lassen, um nicht ohne Zigaretten dazusitzen. Als er am Esszimmer vorbeikam, hörte er Silvestre fragen:
»Gehen Sie aus, Senhor Abel?«
Er erklärte:
»Ich habe keine Zigaretten mehr. Ich gehe nur zur Kneipe nebenan, vielleicht gibt es da welche.«
»Ich habe Tabak. Ob Sie den mögen, weiß ich nicht. Lose gekauft …«
Abel ließ sich nicht bitten.
»Mir ist alles recht. Ich habe da keine Vorlieben.«
»Dann bedienen Sie sich!«, rief Silvestre und streckte ihm den Tabak und die Schachtel mit den Blättchen entgegen.
Bei dieser Bewegung ließ er das Spielbrett sehen, das er bislang verdeckt hatte. Abel warf einen kurzen Blick auf den Schuster und entdeckte in dessen Augen einen bekümmerten Ausdruck. Unverzüglich drehte er sich unter Silvestres kritischem Blick eine Zigarette und zündete sie an. Aus Stolz bemühte sich der Schuster jetzt, das Spielbrett mit seinem Körper zu verdecken. Abel stellte fest, dass die gläserne Obstschale, die üblicherweise in der Tischmitte stand, zur Seite geschoben worden war und dass gegenüber von Silvestre ein Stuhl stand. Er begriff, dass der Stuhl für ihn bestimmt war, und murmelte:
»Ich hätte Lust auf ein Spielchen. Sie auch, Senhor Silvestre?«
Der Schuster verspürte ein Kribbeln in der Nasenspitze, das untrügliche Zeichen von Rührung. In diesem Augenblick wurde ihm zur Gewissheit, dass er Abel in sein Herz geschlossen hatte, wobei er aber nicht so recht wusste, warum. Er antwortete:
»Genau das wollte ich Ihnen gerade vorschlagen …«
Abel ging in sein Zimmer, legte das Buch weg und kehrte zu Silvestre zurück.
Der Schuster hatte inzwischen die Spielsteine verteilt, den Aschenbecher so hingestellt, dass Abel ihn erreichen konnte, und hatte sogar den Tisch ein wenig weitergerückt, damit das Licht der Deckenlampe keinem Hindernis begegnete, das möglicherweise Schatten auf das Spielbrett werfen würde.
Sie begannen zu spielen. Silvestre strahlte. Abel gab das Lächeln nicht ganz so ausdrucksstark zurück und beobachtete den Schuster sehr aufmerksam.
Mariana hatte ihre Arbeit beendet und ging schlafen. Die beiden Männer blieben sitzen. Gegen Mitternacht, nach einer Partie, in der er besonders wenig Glück gehabt hatte, erklärte Abel:
»Genug für heute! Sie spielen viel besser als ich, Senhor Silvestre. Als Lektion reicht es mir!«
Silvestre verzog etwas enttäuscht das Gesicht, beließ es aber dabei. Er sah ein, dass sie lange genug gespielt hatten und es vernünftig war, aufzuhören. Abel griff nach dem Tabak, drehte sich noch eine Zigarette, sah sich im Raum um und fragte:
»Wohnen Sie schon lange hier, Senhor Silvestre?«
»Schon seit mehr als zwanzig Jahren. Ich bin der älteste Mieter im Haus.«
»Dann kennen Sie also alle anderen Mieter?!«
»O ja, natürlich.«
»Sind es nette Leute?«
»Die einen mehr, die anderen weniger. Letztlich so wie überall …«
»Ja. Wie überall.«
In Gedanken verloren, begann Abel die Spielsteine zu stapeln, immer abwechselnd einen weißen und einen schwarzen. Dann stieß er den Stapel um und fragte:
»Der Nachbar hier nebenan ist, wie es scheint, keiner von den Netteren?«
»Er ist kein schlechter Mensch. Aber wortkarg … Ich mag keine wortkargen Leute, aber er ist kein schlechter Mensch. Sie ist eine Giftschlange. Und obendrein noch eine Galicierin …«
»Aus Galicien? Was ist daran schlecht?«
Silvestre bereute, dass er das Wort Galicierin
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