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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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machen …«, murmelte sie und lief zwischen Schornstein und Esstisch hin und her. »Das ist alles, was er kann!«
    Und dann kam der Herr Emílio Fonseca und führte große Reden … Er hatte recht gehabt, ihr Vater, der gegen diese Heirat gewesen war. Warum nur hatte sie nicht statt seiner den Vetter Manolo geheiratet, der eine Bürstenfabrik in Vigo besaß? Sie hätte jetzt eine Dame sein können, eine Fabrikbesitzerin, die Hausmädchen kommandierte … Wie dumm sie war, wie dumm! Verflucht die Stunde, da sie auf die Idee gekommen war, nach Portugal zu fahren und eine Zeit bei Tante Micaela zu verbringen! Sie hatte im ganzen Viertel Aufsehen erregt! Alle wollten mit der Spanierin flirten! Das war ihr zum Verhängnis geworden. Sie hatte es genossen, umschwärmt zu werden, mehr als bei sich zu Hause, und das waren jetzt die Folgen ihrer Blindheit. Ihr Vater hatte vergeblich gewarnt: Carmen, das ist kein Mann für dich! Sie hatte nicht auf seinen Rat gehört, hatte sich stur gestellt, hatte den Vetter Manolo und seine Bürstenfabrik verschmäht …
    Sie blieb mitten in der Küche stehen, um sich eine Träne abzuwischen. Fast sechs Jahre hatte sie Manolo nicht mehr gesehen, sie bekam Sehnsucht. Sie weinte über das, was ihr entgangen war. Jetzt könnte sie Fabrikbesitzerin sein – Manolo hatte sie immer sehr gerngehabt. Ach, ich Unselige!
    Henrique rief aus seinem Zimmer. Er war plötzlich aufgewacht. Carmen eilte zu ihm.
    »Was ist, mein Kind?«
    »Ist der Papa weggegangen?«
    »Ja.«
    Henriques Lippen fingen an zu zittern, sie zitterten immer stärker, und die verärgerte und zugleich verzweifelte Mutter vernahm verblüfft ein leises, unterdrücktes Schluchzen.

12
    A uf dem Arbeitstisch standen aufgeschlitzte Schuhe und verlangten nach Reparatur, aber Silvestre tat, als sähe er sie nicht, und griff zur Zeitung. Er las sie von vorn bis hinten, vom Leitartikel bis zu Unruhen und Überfälle. Er war immer über internationale Ereignisse auf dem Laufenden, beobachtete, wie sie sich weiter entwickelten, und machte seine Voraussagen. Wenn er sich irrte, wenn er auf Weiß getippt hatte, aber Schwarz herauskam, gab er die Schuld der Zeitung, sie brachte nie das Wichtigste, verwechselte oder vergaß Nachrichten, weiß der Himmel in welcher Absicht! An diesem Tag war die Zeitung nicht schlechter, aber auch nicht besser als üblich, doch Silvestre konnte sie nicht ertragen. Immer wieder sah er ungeduldig auf die Uhr. Er spottete über sich selbst und wandte sich erneut der Zeitung zu. Versuchte, sich mit der politischen Situation in Frankreich und dem Indochinakrieg zu beschäftigen, der Blick glitt über die gedruckten Zeilen, aber das Gehirn erfasste nicht den Sinn der Wörter. Er ließ die Zeitung ruckartig sinken und rief nach seiner Frau.
    Mariana erschien in der Tür, ihre stämmige Gestalt füllte sie fast ganz aus. Sie hatte gerade das Geschirr gespült und trocknete sich noch die Hände ab.
    »Geht die Uhr richtig?«, fragte Silvestre.
    Bedächtig betrachtete Mariana die Stellung der Uhrzeiger.
    »Ich glaube, ja …
    »Hm …«
    Mariana wartete darauf, dass er etwas sagte, denn aus dem Gebrummel konnte man nichts Verständliches heraushören. Silvestre griff nach der Zeitung, diesmal wütend. Er fühlte sich ertappt und sah ein, dass seine Ungeduld lächerlich war oder zumindest kindisch.
    »Lass gut sein, der Junge kommt bald …«, Mariana lächelte.
    Silvestre blickte abrupt auf.
    »Wieso, der Junge? Was soll das? Der ist nun so unwichtig wie nur was …«
    »Warum bist du dann so nervös?«
    »Ich nervös? Du bist gut!«
    Mariana lächelte noch breiter und amüsierter. Silvestre ging in sich, er merkte, dass er ganz ungerechtfertigt übertrieben empört reagiert hatte, und lachte nun auch.
    »Der verflixte Kerl … Verhext hat er mich!«
    »Von wegen, verhext … Bei deiner Schwäche hat er dich erwischt, beim Damespiel … Dein Verhängnis!« Damit ging sie in die Küche zurück.
    Der Schuster zuckte gut gelaunt die Achseln, warf noch einen Blick auf die Uhr und drehte sich eine Zigarette, um sich die Wartezeit zu vertreiben. Eine halbe Stunde verging. Es war fast zehn Uhr. Silvestre dachte schon, ihm bliebe nichts anderes übrig, als sich an die Schuhe zu machen, da hörte er den Schlüssel im Schloss. Die Tür vom Esszimmer, wo er saß, führte in den Flur. Er griff nach der Zeitung, setzte eine aufmerksame Miene auf, tat, als nähme er nicht wahr, wer hereinkam. Doch innerlich lachte er vor

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