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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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so abwertend ausgesprochen hatte.
    »Das sagt man so. Und Sie kennen doch sicherlich unser Sprichwort: ›Aus Spanien kommen weder gute Winde noch gute Ehen.‹«
    »Ah, ja. Sie meinen also, dass die sich nicht gut verstehen?«
    »Davon bin ich überzeugt. Ihn hört man nicht, aber sie keift wie ein Wasch… ich meine, sie redet sehr laut …«
    Abel lächelte, weil Silvestre verlegen geworden war und sich um eine ordentliche Ausdrucksweise bemühte.
    »Und die anderen?«
    »Die Leute im ersten Stock links sind mir ein Rätsel. Er arbeitet beim
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und ist ein Rüpel. Entschuldigung, aber das ist er wirklich. Sie, die arme Frau, seit ich die kenne, sieht sie aus, als ob sie bald stirbt. Von Tag zu Tag wird sie dünner …«
    »Ist sie krank?«
    »Sie hat Diabetes. Das hat sie jedenfalls meiner Mariana erzählt. Aber wenn ich mich nicht sehr täusche, ist da garantiert Tuberkulose im Spiel. Die Tochter ist an Meningitis gestorben. Seitdem sieht die Mutter dreißig Jahre älter aus. Wenn Sie mich fragen, die sind bestimmt nicht glücklich. Die Frau … Und er, der ist, wie gesagt, ein Idiot. Ich repariere ihm die Schuhe, weil ich mein Brot verdienen muss, doch wenn es nach mir ginge …«
    »Und daneben?«
    Silvestre grinste maliziös. Er glaubte zu wissen, dass das Interesse seines Untermieters an den Nachbarn ein Vorwand war, um »Dinge« über die Mieterin im ersten Stock zu erfahren. Deshalb war er verwirrt, als Abel hinzufügte:
    »Gut. Über die weiß ich schon Bescheid. Und was ist mit denen ganz oben?«
    »Im letzten Stock … Rechts wohnt ein Kerl, den ich nicht ausstehen kann. Selbst wenn man den auf den Kopf stellte, würde nicht eine Münze rausfallen, aber wenn man ihn sieht, denkt man, das ist ein … ein Kapitalist …«
    »Offenbar mögen Sie Kapitalisten nicht, Senhor Silvestre«, sagte Abel lächelnd.
    Silvestre machte einen Rückzieher. Leise sagte er:
    »Mögen … oder nicht mögen … Was man halt so redet …«
    Abel gab nicht zu erkennen, ob er es gehört hatte.
    »Und der Rest der Familie?«
    »Die Frau ist eine dumme Gans. Mein Anselmo hier, mein Anselmo da … Und die Tochter, nach meiner unbedeutenden Ansicht wird die den Eltern noch eine Menge Kopfschmerzen machen. Und weil sie deren Ein und Alles ist, umso schlimmer …«
    »Wie alt ist sie?«
    »Maria Claudia muss um die zwanzig sein. Hoffentlich irre ich mich, was sie betrifft …«
    »Und auf der anderen Seite?«
    »Da wohnen vier Frauen. Sehr ordentliche Leute. Früher ging es ihnen wohl ganz gut. Dann ein paar Schicksalsschläge … Die wissen, was sich gehört. Stehen hier nicht im Treppenhaus herum und reden schlecht über andere, und das allein ist schon zu bewundern. Zurückhaltende Leute …«
    Abel war nun damit beschäftigt, die Spielsteine zu Vierecken zu legen. Als der Schuster verstummte, hob Abel den Kopf und sah ihn erwartungsvoll an. Doch Silvestre war nicht dazu aufgelegt, weiterzusprechen. Er hatte das Gefühl, hinter den Fragen des Untermieters stecke eine bestimmte Absicht, und auch wenn er nichts Kompromittierendes gesagt hatte, bereute er nun, dass er so viel geredet hatte. Er dachte wieder an sein anfängliches Misstrauen und tadelte sich für seine Gutgläubigkeit. Abels Bemerkung zu den Kapitalisten schien ihm verfänglich, womöglich war es sogar eine richtige Falle.
    Das Schweigen wurde Silvestre unbehaglich und beunruhigte ihn, zumal der Untermieter sich offenbar ganz wohl fühlte. Die Spielsteine lagen jetzt in einer Reihe über die ganze Tischlänge, wie Schrittsteine in einem Flusslauf. Diese kindliche Spielerei machte Silvestre gereizt. Als das Schweigen unerträglich wurde, legte Abel irritierend sorgfältig die Steine alle zusammen auf das Spielbrett und gab unvermittelt eine Frage von sich:
    »Warum haben Sie keine Erkundigungen über mich eingeholt, Senhor Silvestre?«
    Die Frage passte so präzise zu Silvestres Gedanken, dass er sekundenlang vor Verblüffung keine Antwort parat hatte. Um Zeit zu gewinnen, fiel ihm nichts Besseres ein, als zwei Gläser und eine Flasche aus dem Schrank zu holen und zu fragen:
    »Mögen Sie Kirschlikör?«
    »Ja.«
    »Mit oder ohne?«
    »Mit.«
    Während er über eine Antwort grübelte, füllte er die Gläser, doch da es seine ganze Aufmerksamkeit erforderte, die Kirschen herauszuholen, wusste er am Ende noch immer nicht, was er antworten sollte. Abel schnupperte am Likör und sagte harmlos:
    »Sie haben mir auf meine Frage noch nicht

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