Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
welche Schuld habe ich auf mich geladen?« Als der Junge genug getrunken hatte, sank er zurück ins Bett und bedankte sich mit einem Lächeln. Emílio ging nicht wieder ans Fenster. Er setzte sich auf die Bettkante und sah seinen Sohn wortlos an. Anfangs erwiderte Henrique den Blick des Vaters und schien sich zu freuen, dass er da saß. Doch ein paar Augenblicke später merkte Emílio, dass Henrique verlegen wurde. Er wandte den Blick ab und machte Anstalten, sich zu erheben. Im selben Moment hielt ihn etwas zurück. Ein neuer Gedanke war ihm gekommen. (War er wirklich neu? Hatte er ihn nicht tausendmal verscheucht, weil er ihn störte?) Warum fühlte er sich in der Nähe seines Sohnes so unwohl? Warum schien sich sein Sohn in seiner Nähe eindeutig nicht wohlzufühlen? Was stand zwischen ihnen? Er holte die Zigarettenschachtel heraus. Steckte sie wieder weg, weil ihm einfiel, dass der Rauch Henriques Hals schaden würde. Er konnte zum Rauchen woandershin gehen, aber er ging nicht weg. Wieder sah er seinen Sohn an. Unvermittelt fragte er:
»Hast du mich gern, Henrique?«
Die Frage war so ungewöhnlich, dass der Junge nicht sehr überzeugend antwortete:
»Ja.«
»Sehr gern?«
»Ja.«
»Worte«, dachte Emílio. »Nichts als Worte. Wenn ich jetzt stürbe, würde er sich in einem Jahr nicht mehr an mich erinnern.«
Henriques Füße hoben die Bettdecke neben ihm an. Liebevoll, aber eher gedankenlos drückte Emílio sie. Henrique fand das lustig und lachte, er lachte vorsichtig, damit ihm der Hals nicht wehtat. Emílio drückte fester. Da es dem Vater offenbar gefiel, beschwerte Henrique sich nicht, aber als der die Hand wegnahm, war er erleichtert.
»Wenn ich nicht mehr da wäre, täte dir das leid?«
»Ja …«, murmelte Henrique verblüfft.
»Nach einiger Zeit würdest du mich vergessen …«
»Ich weiß nicht.«
Konnte er eine andere Antwort erwarten? Natürlich wusste der Junge nicht, ob er ihn vergessen würde. Niemand weiß, ob er etwas vergessen wird, bevor er es vergessen hat. Könnte man das im Voraus wissen, ließen sich viele schwierige Dinge einfach lösen. Wieder bewegten sich Emílios Hände zu der Tasche hin, in der die Zigaretten steckten. Mitten in der Bewegung jedoch hielten sie inne, als hätten sie vergessen, was sie vorhatten. Und nicht nur die Hände verrieten Ratlosigkeit. Sie zeigte sich auch in seinem Gesicht, als wäre er an einen Kreuzweg gelangt, an dem es keine Richtungshinweise gab oder wo die Schilder in einer ihm unbekannten Sprache beschriftet waren. Ringsum nur Wüste, niemand, der ihm sagte: »Dorthin.«
Henrique sah den Vater neugierig an. Noch nie hatte er ihn so erlebt. Noch nie solche Fragen von ihm gehört.
Emílios Hände erhoben sich langsam, aber kraftvoll und entschieden. Die Handflächen wiesen nach oben und bestätigten, was sein Mund nun aussprach:
»Doch, du würdest mich vergessen, ganz bestimmt …«
Er hielt einen Moment inne, aber das unwiderstehliche Verlangen, zu sprechen, setzte sich gegen das Zögern durch. Er war sich nicht sicher, ob sein Sohn ihn verstand, aber das spielte keine Rolle. Er wünschte sich sogar, dass er ihn nicht verstand. Bei der Wahl seiner Worte wollte er nicht danach gehen, ob sie für ein Kind verständlich waren. Das Wesentliche war für ihn, zu sprechen, sprechen, bis er alles gesagt hatte oder nichts mehr zu sagen wusste.
»Doch, du würdest mich vergessen. In einem Jahr würdest du dich nicht mehr an mich erinnern. Wahrscheinlich schon früher. Dreihundertfünfundsechzig Tage nicht da, und mein Gesicht wäre für dich etwas Vergangenes. Später würdest du dich, selbst wenn du ein Foto von mir sähest, nicht mehr an mein Gesicht erinnern können. Und noch später würdest du mich nicht einmal erkennen, wenn ich vor dir stünde. Nichts würde dir sagen, dass ich dein Vater bin. Für dich bin ich ein Mann, den du jeden Tag siehst, der dir Wasser zu trinken gibt, wenn du krank bist und Durst hast, ein Mann, den deine Mutter duzt, ein Mann, mit dem deine Mutter schläft. Du hast mich gern, weil du mich jeden Tag siehst. Aber nicht, weil ich der bin, der ich bin, du hast mich gern für das, was ich tue oder nicht tue. Du weißt nicht, wer ich bin. Hätte man mich, als du geboren wurdest, gegen einen anderen eingetauscht, hättest du davon nichts gemerkt, und du hättest den anderen genauso gern. Und wenn ich eines Tages zurückkäme, würdest du lange brauchen, um dich an mich zu gewöhnen, oder vielleicht hättest du, obwohl
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