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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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pädagogische Methode funktionierte.
    Und mit dieser Überzeugung verließ er das Haus, vor dem stärker gewordenen Regen geschützt und entschlossen, auf einem Vorschuss zu bestehen. Das war er der angeschlagenen Haushaltskasse und seiner Rolle als Ehemann und Vater schuldig.

10
    A n zwei Kissen gelehnt, noch etwas benommen, weil er gerade erst aufgewacht war, wartete Caetano Cunha auf das Mittagessen. Da das Licht der Nachttischlampe schräg von der Seite auf ihn fiel, blieb sein Gesicht zur Hälfte im Halbschatten, während der Lichtschein die Rötung der beleuchteten Wange noch stärker betonte. Mit einer Zigarette im Mundwinkel, das Auge auf dieser Seite wegen des Rauchs halb zusammengekniffen, glich er einem Schurken aus einem Gangsterfilm, der vom Drehbuch in das Hinterzimmer eines düsteren Hauses verbannt worden war. Auf der Kommode zu seiner Rechten das Foto eines Kindes, das Caetano Cunha anlächelte, ein starres, ein beunruhigend starres Lächeln.
    Caetano sah nicht zum Foto. Dass er lächelte, lag also nicht am Lächeln seiner Tochter. Auch war das Lächeln auf dem Foto seinem Lächeln nicht ähnlich. Das auf dem Foto war offen und fröhlich, und störend war daran lediglich die Erstarrung. Caetanos Lächeln war lüstern, fast abstoßend. Wenn Erwachsene so grinsen, sollte das Lächeln von Kindern nicht in der Nähe sein, auch nicht auf Fotografien.
    Nach Dienstschluss bei der Zeitung hatte Caetano ein Abenteuer gehabt, ein schmutziges Abenteuer, und die hatte er am liebsten. Deshalb grinste er. Solche Sachen konnte er genießen und sich daran gleich zweimal erfreuen: wenn er es erlebte und wenn er daran zurückdachte.
    Justina verdarb ihm die zweite Freude. Sie brachte das Tablett mit seinem Mittagessen und setzte es auf seinen Knien ab. Caetano sah sie mit dem beleuchteten Auge höhnisch an; die Lederhaut wirkte blutunterlaufen und machte seinen Blick noch bösartiger.
    Seine Frau nahm den Blick nicht wahr, so wie sie auch die Erstarrung im Lächeln ihrer Tochter nicht mehr wahrnahm, an beides hatte sie sich längst gewöhnt. Sie ging zurück in die Küche, wo ihr Diabetiker-Essen, frugal und fade, auf sie wartete. Sie aß fast immer allein. Beim Abendessen war ihr Mann nicht da, mit Ausnahme des Dienstags, seines freien Tages; mittags aßen sie getrennt: er im Bett, sie in der Küche.
    Die Katze stieg von ihrem Kissen am Kamin, wo sie träumend geschlummert hatte. Sie krümmte den Rücken und rieb sich mit hoch erhobenem Schwanz an Justinas Beinen. Caetano rief nach ihr. Die Katze sprang aufs Bett und blickte ihn mit sacht wedelndem Schwanz an. Ihre grünen Augen, die das rote Licht nicht zu verfärben vermochte, starrten auf die Teller auf dem Tablett. Sie wartete auf die Belohnung für ihre Fügsamkeit. Zwar wusste sie nur zu gut, dass sie von Caetanos Hand nie etwas anderes als Schläge erhalten würde, dennoch gab sie nicht auf. Vielleicht regte sich in ihrem Tiergehirn Neugier, die Neugier, zu erfahren, wann ihr Herr das Schlagen leid sein würde. Caetano war es noch nicht leid – er griff nach einem Pantoffel und warf ihn. Die Katze war schneller und ergriff mit einem Satz die Flucht. Caetano lachte.
    Die Stille, die wie ein Block über der Wohnung lag, barst bei seinem Lachen. Man konnte meinen, die Möbel hätten sich geduckt, weil der Lärm für sie so ungewohnt war. Die Katze, von dem Gelächter erschreckt, dachte nicht mehr an Hunger und wandte sich wieder dem Schlaf des Vergessens zu. Nur Justina rührte sich nicht, als hätte sie nichts gehört. Im Haus machte sie den Mund nur auf, um das Allernotwendigste zu sagen, und für die Katze Partei zu ergreifen schien ihr nicht notwendig zu sein. Ihr Leben spielte sich in ihrem Inneren ab, als träumte sie einen Traum ohne Anfang und Ende, einen Traum ohne Gegenstand, aus dem sie nicht aufwachen wollte, einen Traum voller Wolken, die geräuschlos über einen Himmel glitten, dessen Existenz sie längst vergessen hatte.

11
    D ie Krankheit ihres Sohnes hatte Carmens gemütliche Faulenzervormittage durcheinandergebracht. Henrique lag seit zwei Tagen mit einer Angina im Bett. Wäre es nach der Mutter gegangen, hätte man den Arzt geholt, doch im Hinblick auf die damit verbundenen Kosten erklärte Emílio, es sei nicht nötig. Die Krankheit sei harmlos. Ein paarmal gurgeln, ein paarmal mit Mercurochrom bepinseln, ihn besonders verwöhnen, und schon bald würde der Junge wieder aufstehen können. Dies war seiner Frau Anlass genug, ihm

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