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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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noch etwas sagen. Als ich anfing, so zu leben, war es eine Laune, dann wurde es zur Überzeugung, und jetzt ist es Neugier.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Gleich werden Sie es verstehen. Ich habe das Gefühl, dass das Leben hinter einem Vorhang lauert und sich kaputtlacht darüber, wie sehr wir uns bemühen, es kennenzulernen. Ich will es kennenlernen.«
    Silvestre lächelte mild mit einem Anflug von Desillusion.
    »Es gibt diesseits des Vorhangs so viel zu tun, mein Freund … Selbst wenn Sie tausend Jahre alt würden und die Erfahrung aller Menschen hätten, würde es Ihnen nicht gelingen, das Leben kennenzulernen!«
    »Möglich, dass Sie recht haben. Aber zum Aufgeben ist es noch zu früh …«
    Er stand auf und reichte Silvestre die Hand.
    »Bis morgen!«
    »Bis morgen … mein Freund.«
    Als er allein war, drehte Silvestre sich ganz gemütlich eine Zigarette. Auf seinen Lippen lag noch immer das milde, müde Lächeln. Sein Blick war auf die Tischplatte gerichtet, als bewegten sich darauf Figuren einer längst vergangenen Zeit.

13
    A us Adrianas Tagebuch:
    »Sonntag, 23 .  3 .  52 , um halb elf Uhr abends. Es hat den ganzen Tag geregnet. Kaum zu glauben, dass wir Frühling haben. Als ich klein war, so kann ich mich erinnern, waren die Frühlingstage schön, und die schönen Tage fingen gleich am 21 . an. Jetzt haben wir schon den 23 ., aber nichts als Regen. Ich weiß nicht, ob es am Wetter liegt, aber mir ist nicht gut. Ich war den ganzen Tag zu Hause. Mama und Tante Amélia haben nach dem Mittagessen die Cousinen in Campolide besucht. Tante Amélia kam verärgert zurück, wegen irgendetwas, worüber sie sich da unterhalten haben. Ich habe nichts erfahren. Sie brachten für uns Kuchen mit, aber ich habe keinen gegessen. Isaura wollte auch keinen. Der Tag war sehr langweilig. Isaura hat das Buch, das sie gerade liest, keine Sekunde aus der Hand gelegt. Sie nimmt es überallhin mit, man könnte meinen, sie versteckt es. Ich habe an meinem Laken gestickt. Den Stoff in den Stickrahmen spannen dauert sehr lange, aber es eilt ja nicht … Womöglich werde ich nie mein Bett damit beziehen. Ich bin traurig. Hätte ich das gewusst, wäre ich mit ihnen nach Campolide gefahren. Lieber dahin als so einen Tag erleben. Am liebsten würde ich weinen. Am Regen liegt es nicht, bestimmt nicht. Gestern hat es auch geregnet … Es ist auch nicht seinetwegen. Anfangs war es für mich schwer, ihn sonntags nicht zu sehen. Jetzt geht es. Langsam komme ich zu der Überzeugung, dass er mich nicht mag. Sonst würde er nicht solche Telefonate führen. Es sei denn, er will mich damit eifersüchtig machen … Ich bin wirklich blöd! Wie soll er mich eifersüchtig machen wollen, wenn er gar nicht weiß, dass ich ihn mag? Und warum sollte er mich mögen, wenn ich hässlich bin? Doch, ich weiß, dass ich hässlich bin, das muss man mir nicht sagen. Wenn die Leute mich ansehen, weiß ich genau, was sie denken. Aber ich bin mehr wert als die anderen. Beethoven war auch hässlich, er wurde von keiner Frau geliebt, aber er war Beethoven. Er brauchte es nicht, geliebt zu werden, um das zu schaffen, was er geschaffen hat. Er musste nur lieben und hat geliebt. Hätte ich zu seiner Zeit gelebt, dann wäre ich imstande gewesen, ihm die Füße zu küssen, und das, wette ich, hätte keine schöne Frau getan. Meiner Ansicht nach wollen schöne Frauen nicht lieben, nur geliebt werden. Ich weiß, Isaura sagt, dass ich von diesen Dingen nichts verstehe. Vielleicht, weil ich keine Romane lese. Genau genommen weiß sie anscheinend nicht mehr als ich, obwohl sie Romane liest. Ich finde, sie liest zu viel. Heute zum Beispiel. Sie hatte ganz rote Augen, als hätte sie geweint. Und war so nervös, wie ich sie noch nie erlebt habe. Irgendwann berührte ich sie am Arm, um ihr etwas zu sagen, was, weiß ich nicht mehr. Sie schrie auf, sodass ich einen richtigen Schreck bekam. Ein anderes Mal kam ich gerade aus unserem Zimmer, und sie war am Lesen. (Ich habe den Verdacht, dass sie das Buch schon zu Ende gelesen und wieder von vorn angefangen hat.) Sie machte ein merkwürdiges Gesicht, wie ich es noch nie bei jemandem gesehen habe. Als hätte sie Schmerzen, wäre aber gleichzeitig zufrieden. Nein, zufrieden sah sie nicht aus. Ich kann es nicht erklären. Es war so, als ob diese Schmerzen ihr angenehm wären oder als ob dieses angenehme Gefühl ihr Schmerzen bereitete. Was schreibe ich hier für ein Durcheinander … Mein Kopf tickt heute nicht richtig. Die

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