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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Sie seufzte und sagte zu mir mit fast erstickter, zitternder Stimme:
    »Liebe Freundin, haben Sie doch Mitleid mit mir!«
    »Liebe Mutter«, antwortete ich, »was haben Sie? Fühlen Sie sich nicht wohl? Was kann ich denn für Sie tun?«
    »Ich zittere«, gab sie zur Antwort; »mich schaudert; die Kälte erfüllt mich wie eine Totenstarre.«
    »Soll ich aufstehen und Ihnen mein Bett überlassen?«
    »Nein«, erwiderte sie, »es ist nicht nötig, dass Sie aufstehen. Nehmen Sie nur die Bettdecke ein bisschen hoch, damit ich mich neben Sie legen kann, dann wird mir sicher gleich wieder warm, und ich fühle mich wieder wohl.«
    »Aber liebe Mutter«, sagte ich, »das ist doch verboten! Was würde man sagen, wenn das bekannt würde? Ich habe erlebt, dass Nonnen schon um viel geringerer Verfehlungen willen streng bestraft worden sind. In Sankt Marien ist es einmal passiert, dass eine Nonne nur ein einziges Mal nachts in die Zelle einer anderen Nonne ging, mit der sie befreundet war; ich kann Ihnen nicht sagen, wie schlecht man darüber dachte. Unser Beichtvater hat mich ein paarmal gefragt, ob mir niemand vorgeschlagen habe, mit mir in einem Bett zu schlafen; und er hat mich sehr eindringlich gewarnt, es auf keinen Fall zu dulden. Ich habe ihm übrigens auch von den Zärtlichkeiten erzählt, die Sie, liebe Mutter, mir erweisen. Ich halte sie für vollkommen harmlos; aber er ist anderer Meinung. Ich weiß gar nicht, wie ich seine Ratschläge so völlig habe vergessen können; ich hatte mir doch fest vorgenommen, mit Ihnen darüber zu sprechen.«
    »Liebe Freundin«, erwiderte sie, »das ganze Haus schläft, niemand wird etwas erfahren. Ich bin es, die hier straft und belohnt; der Beichtvater mag sagen, was er will, ich weiß nicht, was unrecht daran ist, wenn eine Freundin eine andere Freundin an ihrer Seite aufnimmt, weil sie, von Unruhe gepackt, aufgewacht und mitten in der Nacht trotz der kalten Jahreszeit gekommen ist, um zu sehen, ob ihrer geliebten Freundin nicht etwas zugestoßen sei. Susanne, haben Sie denn bei Ihren Eltern niemals mit einer Ihrer Schwestern im selben Bett geschlafen?«
    »Nein, nie.«
    »Wenn sich aber eine Gelegenheit dazu ergeben hätte, hätten Sie es dann nicht bedenkenlos getan? Wenn eine Ihrer Schwestern voller Angst und vor Kälte zitternd zu Ihnen gekommen wäre – hätten Sie ihr dann den Platz an Ihrer Seite verweigert?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Und bin ich denn nicht Ihre liebe Mutter?«
    »Ganz gewiss, das sind Sie; trotzdem ist es verboten!«
    »Aber, liebe Freundin, ich bin es doch, die es den anderen verwehrt und die es Ihnen erlaubt, ja Sie sogar darum bittet. Ich möchte mich nur einen Augenblick bei Ihnen aufwärmen, dann gehe ich. Geben Sie mir Ihre Hand …«
    Ich gab sie ihr.
    »Da«, sagte sie, »fühlen Sie! Sehen Sie selbst, wie mich schaudert und wie ich zittere. Ich bin eiskalt, durch und durch …«
    Es war tatsächlich wahr.
    »Ach, liebe Mutter«, sagte ich, »Sie werden noch ganz krank von alledem werden. Warten Sie, ich will auf die Seite rücken, und Sie können sich an meinen warmen Platz legen.«
    Ich rückte beiseite, hob die Decke hoch, und sie legte sich an meinen Platz. Es ging ihr wirklich elend. Sie zitterte an allen Gliedern wie Espenlaub; sie wollte es zu mir sagen und dichter an mich heranrücken; aber sie brachte keinen Ton heraus und konnte sich nicht rühren. Endlich flüsterte sie:
    »Susanne, liebe Freundin, kommen Sie ein bisschen näher …«
    Sie streckte ihre Arme nach mir aus; ich drehte ihr den Rücken zu; sie fasste mich sanft an den Schultern und zog mich an sich; ihren rechten Arm schob sie unter mich, und den linken legte sie über meinen Leib.
    »Ich bin so kalt wie Eis. Mir ist so kalt, dass ich Angst habe, Sie zu berühren, aus lauter Besorgnis, ich könnte Ihnen wehtun!«
    »Fürchten Sie nichts, liebe Mutter!
    Sie legte mir eine Hand auf die Brust, mit der anderen fasste sie mich um die Hüfte. Ihre Füße hatte sie unter meine Füße geschoben, und ich drückte sie, um sie zu erwärmen.
    »Ach, beste Freundin«, meinte die liebe Mutter, »sehen Sie nur, wie rasch meine Füße warm geworden sind, weil nichts mehr da ist, was sie von Ihren Füßen trennt.«
    »Was hindert Sie denn«, meinte ich, »am ganzen Körper auf diese Weise wieder warm zu werden?«
    »Nichts, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    Ich hatte mich umgedreht. Sie hatte bereits ihr Hemd ausgezogen, und ich wollte es ihr gerade nachtun, als es plötzlich zweimal

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