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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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geantwortet …«
    »Ach! Ihre Frage …« Silvestre war sichtlich unbehaglich zumute. »Ich habe keine Erkundigungen eingeholt, weil ich dachte … weil ich dachte, das wär nicht nötig …«
    Er gab diesen Worten einen solchen Unterton, dass ein aufmerksames Gehör darin das angedeutete Misstrauen erkannt hätte. Abel verstand.
    »Und denken Sie das immer noch?«
    Da er spürte, dass er in die Enge getrieben wurde, versuchte Silvestre zum Angriff überzugehen.
    »Sie können offenbar Gedanken lesen, Senhor Abel …«
    »Ich habe die Angewohnheit, jedes Wort zu hören, das man zu mir sagt, und darauf zu achten, wie es gesagt wird. Das ist nicht schwierig … Stimmt es denn nun, dass Sie mir misstrauen, oder nicht?«
    »Aber warum sollte ich Ihnen misstrauen?«
    »Ich warte darauf, dass Sie mir das sagen. Ich habe Ihnen die Gelegenheit gegeben, zu erfahren, wer ich bin. Sie haben sie nicht nutzen wollen …« Er nippte an seinem Likör, schnalzte kurz mit der Zunge und fragte, den Blick lächelnd auf Silvestre gerichtet: »Oder möchten Sie lieber, dass ich es Ihnen sage?«
    Silvestres Neugier war augenblicklich geweckt, und er konnte nicht vermeiden, dass er sich verräterisch nach vorn beugte. Mit derselben maliziösen Miene schob Abel die nächste Frage nach:
    »Aber wer sagt Ihnen, dass ich Ihnen nichts vormache?«
    Der Schuster fühlte sich so, wie sich eine Maus in den Krallen der Katze fühlen muss. Einen Moment lang hätte er den jungen Mann am liebsten zurechtgewiesen, doch dann wich dieser Wunsch, und er wusste nicht, was er sagen sollte. Als erwartete er auf seine beiden Fragen keine Antwort, setzte Abel an:
    »Ich mag Sie, Senhor Silvestre. Ich mag Ihre Wohnung und Ihre Frau, und ich fühle mich hier wohl. Kann sein, dass ich nicht lange hierbleibe, aber wenn ich ausziehe, werde ich bestimmt schöne Erinnerungen behalten. Schon am ersten Tag habe ich bemerkt, dass Sie, mein Freund … Gestatten Sie mir, dass ich Sie so anrede?«
    Silvestre, der gerade damit beschäftigt war, die Kirsche zwischen Zunge und Zähnen zu zerdrücken, nickte zustimmend.
    »Danke«, antwortete Abel. »Ich habe ein gewisses Misstrauen bei Ihnen bemerkt, vor allem in Ihren Blicken. Ganz gleich, welcher Art Ihr Misstrauen ist, mir scheint es angebracht, Ihnen zu sagen, wer ich bin. Allerdings war da neben diesem Misstrauen eine – wie soll ich sagen? –, eine Herzlichkeit, die mich beeindruckte. Und auch jetzt, in diesem Moment, empfinde ich diese Herzlichkeit und dieses Misstrauen …«
    Silvestres Gesichtsaudruck veränderte sich. Er wechselte von reiner Herzlichkeit zu reinem Misstrauen und kehrte schließlich zur anfänglichen Miene zurück. Abel sah sich das Auf- und Absetzen von Masken belustigt lächelnd an.
    »Es ist so, wie ich es sage. Beides ist da … Wenn ich mit meiner Geschichte fertig bin, hoffe ich, dass ich nur noch Herzlichkeit sehe. Also, meine Geschichte. Gestatten Sie, dass ich mich noch einmal bei Ihrem Tabak bediene?«
    Silvestre hatte keine Kirsche mehr im Mund, hielt es aber nicht für nötig, zu antworten. Das zwanglose Verhalten des jungen Mannes kränkte ihn ein wenig, und er fürchtete, aggressiv zu werden, wenn er ihm antwortete.
    »Die Geschichte ist etwas länger«, fing Abel an, nachdem er sich die Zigarette angezündet hatte, »aber ich kürze sie ab. Es ist schon spät, und ich möchte Ihre Geduld nicht überstrapazieren … Ich bin achtundzwanzig Jahre alt und habe keinen Militärdienst absolviert. Ich habe keinen festen Beruf, Sie werden gleich sehen, warum. Ich bin frei und ungebunden, ich kenne die Gefahren und die Vorteile der Freiheit und des Alleinseins und komme damit gut zurecht. Seit zwölf Jahren, seit ich sechzehn bin, lebe ich so. Erinnerungen an meine Kindheit tun hier nichts zur Sache, zumal ich auch noch nicht alt genug bin, um gern davon zu erzählen, und weil sie nichts an Ihrem Misstrauen oder Ihrer Herzlichkeit ändern würden. Ich war ein guter Schüler in der Grundschule und im Gymnasium. Und ich schaffte es, sowohl bei meinen Schulkameraden als auch bei den Lehrern beliebt zu sein, was selten vorkommt. Wobei ich Ihnen versichern kann, dass ich nicht die Spur berechnend war – weder schmeichelte ich den Lehrern, noch ordnete ich mich meinen Kameraden unter. So ging es bis zu meinem sechzehnten Geburtstag, als … Ich habe noch nicht gesagt, dass ich ein Einzelkind war und mit meinen Eltern zusammenlebte. Sie können sich jetzt vorstellen, was Sie wollen.

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