Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
anderen liegen schon alle im Bett. Ich gehe schlafen. Was für ein trister Tag! Wäre doch schon morgen!«
Ausschnitt aus dem Roman
Die Nonne
von Diderot, den Isaura in derselben Nacht liest:
Mit der Zeit wurde die Äbtissin unruhig. Sie büßte ihre Fröhlichkeit ein, magerte ab und konnte nicht mehr schlafen.
Eines Nachts, als alles schlief und Stille im ganzen Haus herrschte, stand sie auf. Nachdem sie etliche Zeit durch die Gänge geirrt war, kam sie zu meiner Zelle.
Ich habe einen leichten Schlaf und glaubte sie gehört zu haben. Sie blieb bei mir stehen, legte offensichtlich ihren Kopf gegen meine Tür und verursachte dabei genügend Geräusch, um mich zu wecken, falls ich noch geschlafen hätte. Ich rührte mich nicht. Mir kam es so vor, als hörte ich eine Stimme klagen und seufzen. Zuerst überlief mich ein leichter Schauder, dann entschloss ich mich, ein Ave zu sagen. Statt mir zu antworten, schlich die fremde Person leise davon. Kurz darauf jedoch kam sie zurück; ich hörte es von neuem klagen und seufzen, sagte nochmals Ave , und zum zweiten Mal entfernte sie sich. Ich beruhigte mich und schlief wieder ein. Während ich schlief, kam jemand in meine Zelle und setzte sich auf den Rand meines Bettes. Eine Hand zog meine Vorhänge auf, eine andere hielt eine kleine Wachskerze, deren Lichtschein mir ins Gesicht fiel; und die Frau, die die Kerze trug, schaute mir zu, wie ich schlief – das jedenfalls war mein Eindruck, als ich schließlich die Augen aufschlug. Die Frau war unsere Äbtissin.
Ich fuhr hoch; sie sah, dass ich zu Tode erschrocken war, und sagte zu mir:
»Seien Sie nur ruhig, Susanne, ich bin es.«
Ich legte mich zurück in meine Kissen und fragte:
»Liebe Mutter, was wollen Sie zu dieser späten Stunde hier bei mir? Was nur kann Sie zu mir geführt haben? Warum schlafen Sie nicht?«
»Ich kann nicht schlafen«, antwortete sie; »ich werde lange Zeit nicht wieder schlafen können. Mich quälen böse Träume. Kaum habe ich die Augen zugemacht, stehen alle Leiden, die Sie ausgestanden haben, vor meiner Seele. Ich sehe Sie in den Händen dieser Unmenschen. Das Haar hängt Ihnen ins Gesicht, Ihre Füße sind ganz blutig, Sie haben eine Fackel in der Hand und den Strick um den Hals. Ich glaube, man will Sie umbringen; mich schaudert; ich zittere; kalter Schweiß bricht mir aus allen Poren. Ich will Ihnen zu Hilfe eilen; ich schreie laut auf, erwache, und vergebens warte ich darauf, dass ich wieder einschlafe. So ist es mir heute Nacht ergangen. Ich habe gefürchtet, der Himmel kündige mir irgendein Unglück an, das meiner Freundin zugestoßen sei. Ich bin aufgestanden und zu Ihrer Tür gegangen; ich habe gelauscht, und mir schien, als schliefen sie nicht. Sie haben gesprochen, und ich bin wieder weggegangen. Dann kam ich zurück, und wieder haben Sie gesprochen, und ich habe mich abermals entfernt. Dann kam ich zum dritten Mal; und da ich glaubte, Sie schliefen, bin ich hereingekommen. Ich stehe schon seit einer ganzen Weile hier bei Ihnen. Ich fürchtete, Sie aufzuwecken. Zuerst war ich unschlüssig, ob ich Ihre Vorhänge aufziehen sollte. Ich wollte schon wieder gehen, weil ich mich scheute, Ihre Ruhe zu stören. Aber ich habe dem Wunsch nicht widerstehen können, mich vom Wohlbefinden meiner lieben Susanne zu überzeugen. Ich habe Sie angeschaut. Wie wunderschön sehen Sie aus, selbst wenn Sie schlafen!«
»Meine liebe Mutter, Sie sind so gut zu mir!«
»Ich habe mich erkältet; aber jetzt weiß ich, dass ich nichts Schlimmes für mein liebes Kind zu besorgen habe – ich glaube, ich werde wieder schlafen können. Geben Sie mir die Hand!«
Ich gab sie ihr.
»Wie ruhig Ihr Puls schlägt! Wie gleichmäßig! Nichts bringt ihn in Aufruhr.«
»Ich schlafe recht ruhig.«
»Wie glücklich sind Sie dran!«
»Liebe Ehrwürdige Mutter, Sie werden sich noch schlimmer erkälten.«
»Sie haben recht. Leben Sie wohl, schöne Freundin, leben Sie wohl; ich gehe!«
Sie ging jedoch keineswegs, sondern schaute mich weiter unverwandt an; zwei Tränen rollten ihr über das Gesicht.
»Liebe Mutter«, sagte ich, »was haben Sie nur? Sie weinen! Es tut mir wirklich von Herzen leid, dass ich Ihnen von meinem Kummer und von meinen Schmerzen erzählt habe.«
In diesem Augenblick verriegelte sie die Tür, löschte ihre Kerze aus und stürzte sich auf mich. Sie hielt mich fest umschlungen und lag neben mir auf meiner Decke. Sie schmiegte ihr Gesicht an das meine, und ich wurde nass von ihren Tränen.
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